Herbert Büttiker, Der Landbote (14.09.2015)
Die Saison im Theater St. Gallen begann russisch. Auch künstlich gesüsste Folklore war dabei – für «Eugen Onegin» keine gute Idee.
Peter Tschaikowskys Oper «Eugen Onegin» sagt man nach, dass sie – auch auf dem Hintergrund von Alexander Puschkins Versroman – die russische Seele verkörpert. Die St. Galler Inszenierung nahm das zum Anlass, mit Matroschkas, Kosaken und Kostümen, mit Birken und Holzhäuschen aufzufahren. Aber schnell wird klar – das Kostüm Tatjanas allein sagt schon alles –, dass Folklore hier nicht als der «natürliche» Boden der Handlung zu verstehen war, sondern als der Kitsch, vor dem man flieht.
So verliebt sich Tatjana in den jungen Mann aus der Stadt im T-Shirt, schält sich gleichsam aus der Matroschka und schneidet sich die Zöpfe ab. Die ins Ulkige gezogene Biederkeit wirkt so deplaciert wie im dritten Akt das Klischee einer High-Society-Party des Fürsten Gremin. Dass sich auch Tatjanas Töchterchen in diesen Räumen aufhält, ist seltsam. Dass da überhaupt ein Kind vorkommt, ist die gute Idee dieser Inszenierung von Lydia Steier, Susanne Gschwender (Bühne) und Anna Eiermann (Kostüme).
Musikalisch profiliert
Die forcierte Ästhetik betrifft mehr die Stimmungsbilder in den ersten beiden und die Tänze im dritten Akt, die im Bühnenlärm untergehen – dass ein Dirigent das aushält? –, als Tschaikowskys sensitive Psychodramatik. Diese war nämlich bei den Protagonisten mit musikalisch grossem Potenzial gut aufgehoben. Eveline Dobračeva gestaltete Tatjana mit lyrisch innigem, in den mädchenhaften Aufschwüngen vielleicht gar schwerem, im dritten Akt aber dramatisch umso überzeugenderem Sopran. Der russische Bariton Nikolay Bychov, der in dieser Inszenierung sein Rollendebüt als Onegin gibt, beeindruckte mit sattem, schönem Timbre und differenziertem Ausdruck für die schillernde Figur.
Auch der Tenor Roman Peyer als Lenski, Terhi Kaarina Lampi und weitere bieten musikalisch stimmige Rollenporträts. Der mit Theater- und Opernchor St. Gallen sowie Theaterchor Winterthur gross besetzte Chor überzeugte mit vitaler Klangpracht der Volkslieder und Festmusik. Die verengte Bühne füllten sie derart, dass sich die Tanzkompanie (Choreografie Beate Vollack) durch die Menge hindurchkämpfen musste. Wie sehr Tschaikowsky in dieser Oper auch der grosse Sinfoniker ist, liess das Orchester packend hören, und es folgte mit Vehemenz dem Dirigenten Otto Tausk, der ein gutes Gespür hat für Tschaikowskys russisches Kolorit und sein Pathos der Fatalität.