Tobias Gerosa, Basler Zeitung (15.09.2015)
Das Opernhaus Zürich zeigt Alban Bergs Oper «Wozzeck» mit Christian Gerhaher
Am Opernhaus Zürich erlebt Alban Bergs Oper «Wozzeck» nach dem Drama von Georg Büchner eine packende Neuinszenierung: Musikalisch subtil dank dem Dirigenten Fabio Luisi und dem Bariton Christian Gerhaher in der Titelpartie, in Andreas Homokis Regie überraschend grotesk und zusammen erstaunlich aus einem Guss.
Wie Kasperlifiguren tauchen die Autoritäten und Peiniger plötzlich vor, hinter und neben Wozzeck auf. In Andreas Homokis Inszenierung von Alban Bergs Meisterwerk sind sie lächerliche, maskenhafte Figuren. Ausstatter Michael Levine stellt sie in bis zu sechs hintereinandergeschachtelte, schwarz-gelbe Rahmen. Sie lassen jeweils nur eine ganz schmale Spielfläche, ermöglichen aber raffinierte Staffelungen und extrem rasche Szenenwechsel.
Die Verschiebungen der Bildausschnitte wirken ganz einfach, bis diese fest gerahmte Welt aus den Fugen gerät und übers Eck kippt. Wozzeck wird daraus erst auf die Vorbühne ausbrechen, wenn Marie ihn mit dem feschen Tambourmajor betrügt – punktgenau auf ihre Aussage «s ist alles eins». Das ist eine grosse Stärke von Homokis Inszenierung, mit der er seine vierte Saison als Intendant des Opernhauses Zürich selber eröffnet. Sie hört genau auf die Worte und die Musik.
Grenzen der Emotionalität
Die Inszenierung geht allerdings nicht mehr auf, wenn die Musik vom Mord an ganz nah an die Figuren heranrückt. Wunderschön, wie die Szene zwischen Wozzeck und Marie am Teich ganz zart die Möglichkeit einer Liebesbeziehung zeigt und sie dann doch kippt. Der Emotionalität der folgenden Musik, die so stark aufs Mitleid zielt, steht die Inszenierung dann jedoch hilflos gegenüber. Dabei erreichen Christian Gerhaher und Fabio Luisi mit der hervorragend wachen und klangschönen Philharmonia Zürich hier nochmals neue Stufen der Intensität.
Der deutsche Bariton Christian Gerhaher singt seinen ersten Wozzeck. Er weiss, dass ihm die stimmlichen Mittel für die grossen Ausbrüche nicht zur Verfügung stehen, und man hört ihm das am Anfang auch etwas an. Resigniert reagiert er auf die Vorwürfe des Hauptmanns, nur einmal zuckt ihm das Rasiermesser, doch er hat sich im Griff. Noch. Mit welcher Feinheit Gerhaher aber singt, jedes Wort verständlich und kein Wort einfach so, ist eindrücklich. Sein Wozzeck ist damit noch mehr Opfer der Zustände und Gegebenheiten – des festen Rahmens eben.
Auf Händen getragen
Gerhaher verfügt über eine enorme Bandbreite von Stufen zwischen Aussingen auf der einen und Sprechen auf der andern Seite. Wo immer möglich nimmt er die Stimme zurück. Darin steht ihm Gun-Brit Barkmin als Marie kaum nach, allerdings beeinträchtigt ein etwas schrilles Vibrato ihre Höhe und die Anlage ihrer Figur (wie aller, abgesehen vom Titelhelden) beschränkt ihre Spielmöglichkeit, die er mit enormer szenischer Präsenz ausspielen kann.
Dirigent Fabio Luisi trägt ihn und die ganze Besetzung dafür auf Händen. Dadurch bekommt auch der Orchestersatz zu seinem Recht. Über weite Strecken werden keine Klangmassen, sondern ein vielfältigstes Geflecht von Stimmen, sehr schöne Soli und erstaunlich sehnsüchtige Kantilenen hörbar. Aber auch die Kraft, die in der Partitur steckt (ausser in der zu weit hinter der Szene platzierten Bühnenmusik).
Exemplarisch zu hören in der angesprochenen Szene vor dem Mord, den anschliessenden beiden anschwellenden Unisono-Tönen und dem letzten Orchesterzwischenspiel. Zwar senkt sich am Schluss wieder der goldene Hintergrund des Anfangs. Doch er ist kontaminiert – durch einen zu Recht bejubelten Opernabend. Nur der laute Bravoschrei in den letzten Ton war unpassend.