Cecilia Bartoli singt und glüht im Zürcher Opernhaus

Bruno Rauch, Der Landbote (12.10.2015)

Norma, 10.10.2015, Zürich

«La Bartoli» singt, nein, sie ist Norma – und das Haus bricht fast zusammen unter dem Schlussapplaus. Die viel ­gelobte Opernproduktion der Salzburger Pfingstfestpiele ist als Gastspiel im Zürcher Opernhaus aufgeführt worden.

Dass Zürich bei der Tournee von Vincenzo Bellinis «Norma» die erste Station ist, ist eine freund­liche und freundschaftliche Geste an jene Bühne, wo Cecilia Bartoli gross geworden ist. Eine Art Heimspiel. Entsprechend überwältigend fielen denn auch die ­Standing Ovations am Schluss aus, die jegliche Kritik im Jubel erstickten.

Das Regieteam Patrice Caurier und Moshe Leiser verlegt die Handlung, die Bellini und sein Librettist Felice Romani – nicht zuletzt aus Gründen der Zensur im 1831 von der Habsburger Monarchie besetzten Mailand – im vorchristlichen Gallien angesiedelt haben, ins Frankreich der 1940er-Jahre unter der faschistischen Besatzung.

Norma im Schulzimmer

Aus der Druidenpriesterin Norma ist eine französische Dorfschullehrerin im dunklen Kleidchen geworden; ihr ländliches Schulzimmer zur Zelle des Widerstands (Bühne: Christian Fenouil­lat). Aus dem wankelmütigen römischen Prokonsul Pollione wird ein nazideutscher Offizier, aus unterdrückten Galliern werden Résistance-Kämpfer. Nach anfänglicher Irritation – weil nach keltischem Ritus ständig der Mond, magische Misteln und alte Eichen beschworen werden – mag das ein denkbares Setting sein, wenn auch keine durchwegs gelungene Aktualisierung. Bewusst wird optisch auf den italo-cine­astischen Neorealismus angespielt, was die mitunter plakative und bisweilen doch etwas höl­zerne Personenführung unterstreicht. Gar an den eindrück­lichen Revolutionshymnus aus Bertoluccis «Novecento» erinnert der «Guerra»-Chor der Unterdrückten, Arm in Arm eingehängt bedrohlich an der Rampe singend.

Polliones mutwillige Zerstörung der Bücher im Schulzimmer schliesslich evoziert fatal die gängigen kulturschänderischen Frevel heutiger Usurpatoren. Wäre es da nicht auch konsequenter gewesen, die «Landesverräterin» und den Erzfeind zu erschiessen, statt sie – allzu getreu dem Libretto folgend – in einem pyrotechnisch grandiosen Feuerzauber hinzurichten?

Liebe in Zeiten des Krieges

Der im Vorfeld immer wieder lauthals verkündete ausgesperrte Verismo flammt hier buchstäblich erneut auf. Zumindest im Szenischen.

Musikalisch dagegen darf diese Produktion tatsächlich eine wohltuende Befreiung von interpretatorischen «Altlasten» für sich beanspruchen. Die Besetzung der Titelpartie mit einem Mezzo und diejenige der Novizin Adalgisa mit einer juvenilen Stimme – wunderbar Rebeca Olvera mit mädchenhafter Erscheinung und silbrigem, unangestrengt hellem Sopran! – entspricht nicht nur der kompositorischen Intention, sondern macht dramaturgisch Sinn und Polliones Hinwendung zur Jüngeren psychologisch glaubwürdiger.

John Osborn als treuloser Römer verfügt über einen unangestrengten, klar geführten und ­höhensicheren Tenor; seine zu Beginn blässliche Ausstrahlung gewinnt im Lauf des Abends ­zunehmend an Kontur.

Im Auge des emotionalen Taifuns steht, singt und glüht Cecilia Bartoli. Mit eigenwilliger Stimmfärbung und zum Zerreissen gespannter Intensität zeichnet sie das Bild der zwischen Liebe und Verrat aufgeriebenen Frau. Wie geschärfte Dolche schleudert sie ihr «Trema!» dem Ungetreuen entgegen, reiht Koloraturperlen aneinander und zerfliesst in Gedanken an die verlorene Liebe und die beiden Kinder, die daraus entsprossen, in schmelzenden Kantilenen.

Ihr und dem ganzen ausgezeichneten En­sem­ble, der subtil agierende Coro della Radiotelevisione Svizzera Italiana eingeschlossen, bereitet das Orchester La Scintilla unter Giovanni Antonini den idealen Boden: transparent, flüssig, luzid. In einem Wort: ungemein sängerfreundlich.