Die Lady versinkt im Wahnsinn

Rolf App, St. Galler Tagblatt (19.10.2015)

Macbeth, 17.10.2015, St. Gallen

In einer eindringlichen Inszenierung bringt Aron Stiehl Verdis «Macbeth» auf die Bühne des Theaters St. Gallen. Überragend Paolo Gavanelli als Macbeth und Mary Elizabeth Williams als seine Lady, überragend die Chöre.

Sie ist eine der eindringlichsten Szenen dieser an Eindringlichkeit wahrlich nicht armen Oper: Die Lady Macbeth hält dem Ansturm der Schuldgefühle nicht mehr stand. Nacht für Nacht steht sie auf, kratzt ihre Arme, wäscht ihre Hände. Sie will das Blut abwaschen.

Die ruhelose Lady Macbeth

Wie Giuseppe Verdi diesen schlaflosen Wahnsinn in Töne fasst, ist einzigartig. Und es wird sehr zart vom Sinfonieorchester St. Gallen intoniert, das unter Pietro Rizzo am enorm intensiven Samstagabend den ganzen dramatischen Reichtum dieser Partitur zum Ausdruck bringt. Da gibt es alles, von der weichen Streicherkantilene bis zum schneidenden Blech – oder sogar Dudelsackmusik im Hintergrund.

Zuallererst beeindruckt aber, was Aron Stiehl in der St. Galler Inszenierung aus dieser Wahnsinnsszene macht. Nie kommt die Lady bei ihm zur Ruhe. Kaum liegt sie im Bett, treibt es sie wieder hinaus aus ihrer düsteren Kammer, zum Waschbecken. Und in den abgerissenen Phrasen ihres Gesangs tauchen all die blutigen Taten auf, die sie mit ihrem Gemahl zusammen geplant und begangen hat.

Bis in die Fingerspitzen

Mary Elizabeth Williams stattet die Lady Macbeth mit dem ganzen Reichtum ihrer mächtigen Stimme und ihres schauspielerischen Könnens aus, das buchstäblich bis in die Fingerspitzen reicht. Im ersten Akt noch treibt sie jene Machtgier, die sie zur treibenden Kraft beim Mord an König Duncan werden lässt. In einem auch orchestral grandiosen, von seiner Angst und ihrer Energie durchwaberten Duett reisst sie ihren Mann mit. Der König muss sterben, und Banquo, Macbeths Freund, muss aus dem Weg geräumt werden.

Macbeth hat Halluzinationen

Doch während die Lady die königliche Position noch geniesst, befallen ihren Gemahl am Ende des zweiten Akts schon jene dunklen Halluzinationen, die auf das Ende verweisen. Am Ende, da hat nicht er das Blut an den Händen, sondern das Volk: Es ist sein Blut.

Paolo Gavanelli aber macht mit seinem ausdrucksstarken Bariton des Macbeth' Höhenflug und Niedergang, seine Angst und seinen Hochmut mit Stimme und Gestik so sehr hör- und spürbar, dass an der Premiere vom Samstagabend immer wieder Szenenapplaus aufbrandet – wie übrigens für die Lady auch. Am Ende geht minutenlanger Applaus auf sie und die beeindruckenden Chöre von Theater und Oper nieder, die Michael Vogel einstudiert hat.

Die Chöre: Sie sind tragendes Element und prägen die St. Galler Inszenierung nicht zuletzt durch Beate Vollacks Choreographie. Was durchaus den Intentionen Giuseppe Verdis entspricht. «In dieser Oper gibt es drei Hauptrollen», hat er geschrieben, «Lady Macbeth, Macbeth – der Hexenchor.»

Die Regie in ihren Feinheiten

Allen andern Figuren weist Giuseppe Verdi Nebenrollen zu: Steven Humes' Banquo, der früh etwas ahnt, Derek Taylors Macduff, der erst im vierten Akt seinen einzigen wirklichen Auftritt bekommt, Nik Kevin Kochs strammer Malcolm, Theresa Holzhausers besorgte Kammerfrau.

Subtil zeichnet Aron Stiehl die Beziehung der Lady zu ihrer Kammerfrau in kleinen Gesten nach, es ist dies nur eines von vielen Beispielen, wie aufmerksam er sich dem Detail widmet. Doch sind wir abgeschweift. Von den Chören, die, ob zur Festgesellschaft formiert, ob als Meuchelmörder mit langen Äxten, ob als Flüchtlinge nah beim Publikum campierend, eindringliche Auftritte bekommen.

Es darf auch gelacht werden

Am phantasievollsten geht das Team um Regisseur Aron Stiehl, um den Bühnenbildner Antony McDonald, von dem auch die Kostüme stammen und der das Ganze ausserordentlich geschickt in die klaustrophobische Enge eines Weltkriegsbunkers versetzt, und um den Lichtdesigner Andreas Enzler bei den Auftritten der Hexen ans Werk. Da darf auch durchaus gelacht werden. Etwa wenn Macbeth die künftigen Könige Schottlands sehen will – und die heutige Königsfamilie über die Bühne tappt.