Macbeth im Führungsbunker

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (20.10.2015)

Macbeth, 17.10.2015, St. Gallen

Das Theater St. Gallen verlegt Verdis Oper «Macbeth» in den Zweiten Weltkrieg und unter die britischen Royals. An der Premiere am Samstag gefiel vor allem ein sängerisch fulminanter Paolo Gavanelli in der Titelrolle.

Den Bühnenvorhang ziert das Bild eines Waldes. Das macht Sinn, ist es doch der Wald von Birnam, der sich laut der Hexen-Prophezeiung in Bewegung setzt und das Ende von Macbeths Herrschaft besiegelt. Aber in der Inszenierung von Aron Stiehl setzen wir uns in Bewegung und fahren mit dem Hochziehen des Vorhangs in den Untergrund unter dem Waldboden in einen Führungsbunker, den die Briten im Zweiten Weltkrieg für Churchill und seinen Stab einrichteten. Die Hilfstruppen an den Funkgeräten und Schreibmaschinen mutieren zu Hexen, was in Macbeths Einbildung wohl dem ausgiebigen Genuss schottischen Whiskys bei der vorangegangenen Siegesfeier geschuldet ist. Die zweite Hexenszene dann erlebt Macbeth als Fiebertraum nach einem Ohnmachtsanfall. Konsequenterweise verwandeln sich Banquos Nachkommen auf dem englischen Thron in die Mitglieder der aktuellen Royal Family – eine Lachnummer, die ein wenig schräg steht zur dramatischen Musik dieser gespenstischen Beschwörung.

Auch andere Szenen in Verdis «Macbeth» lassen sich nicht so ohne Weiteres aus dem schottischen Mittelalter in den Zweiten Weltkrieg verlegen. Und vollends verloren geht der Sinn, wenn die Lady Macbeth als Wallis Simpson gezeichnet wird, jene Jetset-Femme-fatale, die dem englischen König Edward VIII. so sehr den Kopf verdrehte, dass er auf die Krone verzichtete. Also eigentlich die umgekehrte Situation: Lady Macbeth will Thron und Macht, Simp-son erreicht den Rückzug ins Private. Entscheidender ist, dass Aron Stiehl aus seiner Verlegung des Handlungsschauplatzes wenig gewinnt. In den Details seiner Personenführung offenbaren sich neben einigen bezwingenden Bildern auch Flüchtigkeiten und Leerstellen, die eine durchgearbeitete Inszenierung zu vermeiden wüsste. Wenig Atmosphäre gewinnt die Produktion auch aus der Bühne von Antony McDonald, die von ihrer Anlage her viel hermetischer und klaustrophobischer sein müsste. Dafür zeigt der Brite mit schottischer Abstammung als Kostümbildner in seiner Schottenrock-Kollektion eine kaum zu übertreffende Sammlung der scheusslichsten Karo-Muster.

Die stimmlichen Grenzen

Die amerikanische Sopranistin Mary Elizabeth Williams debütierte in der Rolle der Lady und bewies, dass sie stimmlich mit den vielen verschiedenen Anforderungen der Partie Schritt halten kann. Am besten war sie am Ende in der Wasch- und Wahnsinnsszene. Da gelangen ihr differenzierte Töne und vielfältige Klangfarben, die ihre Stimme offenbar mühelos hergibt. Davor war davon noch wenig zu hören gewesen, was sich mit zunehmender Vertrautheit mit der Partie verbessern dürfte. Zu oft stand bei ihr einfach noch ein undifferenziertes Forte für jede Idee von Dramatik. Und die geforderte Beweglichkeit und Koloraturen-gespickte Leichtigkeit etwa im Trinklied brachten Williams deutlich an ihre stimmlichen Grenzen. Davon war bei Paolo Gavanelli in der Titelrolle gar nichts zu hören. Er kontrollierte seinen absolut intakten Bariton nach Belieben, steuerte durch Verdis dankbare Gesangslinien in oft überraschenden dynamischen Variationen, vom runden, gespannten Pianissimo bis zum mächtig strahlenden Forte.

Dirigent und Orchester zu schnell mit sich zufrieden

Pietro Rizzo im Orchestergraben liess ihn in seinen grossen Momenten gerne gewähren und hielt das Orchester dynamisch im Zaum. Sonst aber zügelte er die Lust an der Lautstärke zu wenig, was naturgemäss diesen Effekt schnell abschwächte und etwa der Tenorarie des Macduff (Derek Taylor), vor allem aber manchen Chorszenen eine ungewollte Trivialität gab. Klanglich konnte der Chor überzeugen, weniger dagegen in der Präzision, was genauso für das Orchester gilt: Da liessen sowohl die Homogenität innerhalb der Register wie die rhythmische Genauigkeit in Rizzos oft recht rasanten Tempi zu wünschen übrig. Man hat den Eindruck, dass sowohl der Dirigent wie das St. Galler Orchester ein wenig zu schnell mit sich zufrieden waren, anstatt an den letzten fünf Prozent Präzision zu arbeiten.