Die Melonenmänner kommen

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (26.10.2015)

Lohengrin, 24.10.2015, Bern

«Lohengrin»: Am Theater Bern inszeniert Hausherr Stephan Märki, Mario Venzago dirigiert

In der Schweizer Bundeshauptstadt ticken die musikalischen Uhren anders als in Zürich und Basel. In Bern bilden Theater und Sinfonieorchester seit drei Jahren eine Einheit, die «Konzert Theater Bern» heisst und allem Anschein nach funktioniert. Hier ist es nicht wie in Basel eine absolute Ausnahme, dass der Chefdirigent des Orchesters in der Oper dirigiert – es gehört zum System. Zumindest, seitdem dieser Chef Mario Venzago heisst.

Der 67-jährige Schweizer drückt dem Berner Sinfonieorchester seinen Stempel auf, mit Resultaten, die aufhorchen lassen. Nicht, dass das Orchester mit Wagners früher Oper «Lohengrin», die am Samstag Premiere hatte, in allen Belangen perfekt wäre – da gab es schon mal einen verwackelten Einsatz oder eine unsaubere Bläserstelle. Aber Venzago liess den Klangkörper nie zu laut werden, und er betätigte sich in gewissem Mass als Bearbeiter der Partitur. So liess er die Streicher einmal am Steg spielen, sodass sie fahl wie bei Alban Berg klangen; ein andermal liess er sie auf das gewohnte Vibrato verzichten, was der Schlussszene eine besondere Farbe gab. Eine Vielfalt an Klängen stieg da aus dem engen Orchestergraben auf.

Titelgestalt von Überformat

«Lohengrin» ist keine Oper, die eine Vielzahl von Gesangssolisten erfordert, aber dennoch sängerisch anspruchsvoll. Und da kann man den Bernern nur gratulieren. Mit dem schwedischen Tenor Daniel Frank singt ein Musiker die Titelpartie, der sich aus dem Stand als Bayreuth-würdig erwies: mit einer virilen Heldentenorstimme begabt, intonationssicher, differenziert (etwa in seinem aus dem Piano heraus gestalteten Schlussmonolog) und schauspielerisch begabt. Eine Traumbesetzung.

Ihm steht die Elsa der Amerikanerin Mary Mills kaum nach, ausser im Schauspielerischen, für das sie wenig Unterstützung durch die Regie fand. Ihre Stimme erklimmt mühelos höchste Sopranhöhen und klingt intonatorisch beherrscht. Das gilt auch für den überaus temperamentvollen Friedrich von Telramund des Baritons Jordan Shanahan und den noblen König Heinrich des Bassisten Pavel Shmulevich. Als Ortrud – die Drahtzieherin und eigent­liche Böse des Stücks – hörte man die Schweizer Mezzosopranistin Claude Eichenberger, die für eine erkrankte Kollegin einsprang und sehr engagiert spielte.

Surrealistische Züge

Die Inszenierung hatte sich der Intendant persönlich vorgenommen. Stephan Märki war bis vor drei Jahren Intendant in Weimar und hat schon dort gelegentlich inszeniert; «Lohengrin» ist sein Regiedebüt in Bern. Märki teilt das Personal in zwei Gruppen: Die Solisten sind einem schauspielerischen Realismus verpflichtet und tragen Kostüme, wie man sie von vielen Wagner-Aufführungen her kennt, während der Chor eng an Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte angelehnt ist. Da gibt es die berühmten Magritte-Wölkchen und Männer (und Frauen) mit Melone und Regenschirm, die den Hut vor das Gesicht halten und einen grünen Apfel tragen. Es fehlt nur die berühmte Pfeife von «Ceci n’est pas une pipe». Wären die Chöre präziser choreografiert, könnte man dieser Idee, Magritte als Modell zu benutzen, einigen Reiz abgewinnen.

Die Bühne von Olga Ventosa Quintana beschränkt sich auf ein Minimum an symbolkräftigen Details. Originell ist die Idee, den Schwanenritter Lohengrin einer riesigen Faltschachtel entsteigen zu lassen, welche die ganze Bühne einnimmt; hübsch ist der Glühwürmchentanz, der den Hochzeitsmarsch einleitet. Weniger geglückt sind die Szenen mit dem ehelichen Bett, das dann doch nicht benützt wird, weil Elsa, angestiftet durch Ortrud, dem Fremden die verbotene Frage stellt, wer er sei und woher er komme.

In der Personenführung wirkt Märkis Regie eher unbeholfen. Zu vieles überlässt er den Darstellern, und das kommt dann mal so und mal anders. Missglückt ist die Szene, in der Lohengrin im dritten Akt seinen Widersacher Telramund leicht anschubst und dieser mehrere Meter entfernt auf dem Boden landet. An einen Slapstick-Effekt wird der Regisseur nicht gedacht haben. Oper kann unfreiwillig komisch sein!