Auf die traumhafte Musik folgt das böse Regie-Erwachen

Christian Berzins, Mittelland Zeitung (26.10.2015)

Lohengrin, 24.10.2015, Bern

Konzert Theater Bern beglückt mit Richard Wagners «Lohengrin», obwohl die Regie schlecht ist.

Das schafft nur die gute alte Oper. Da sieht man einen Abend lang eine Inszenierung, die zwar weder nervt noch überfordert, aber die ganz einfach schlecht ist. Doch wenn nach 4 Stunden und 45 Minuten der Vorhang fällt, verlässt man das Theater dennoch beglückt. Dann geniesst der von Wagners Musik erhitzte Geist die kühle Herbstluft. Die Berner Neuproduktion von Richard Wagners «Lohengrin» machte dieses «Kunststück» möglich. Die Musik erhöhte alles.

Die szenische Hilflosigkeit ist erstaunlich, versuchte sich hier doch kein geringerer als Intendant Stephan Märki als Regisseur – jener Mann also, der seit 2012 so hoffnungsvoll zum Neustart von Konzert Theater Bern geblasen hatte: Er holte noch und noch spannende Regisseure nach Bern – und mit Mario Venzago verpflichtete er einen Schweizer Chefdirigenten, der dem Berner Symphonieorchester bzw. dem Theater endlich Charakter schenkte.

Auch in «Lohengrin» ist das Orchester der Motor: So jugendlich leuchtend hörten wir «Lohengrin» noch selten. Gewiss, da wird auch aus einer (kleinen) Not eine (grosse) Tugend gemacht, weiss doch Venzago, dass der weihevolle Zugang mit der Berner Akustik und seinem Orchester nur Probleme schaffen würde. Und keine Angst, wenns während des Vorspiels wackelt und zittert: Venzago legt in der Folge einen gewaltigen Bogen über die drei Akte, erzählt das Drama frischfröhlich aus dem Graben und reist auch den Chor mit.

Blasse René-Magritte-Schablone

Regisseur Märki schafft das nicht. Er legt eine Schablone über den «Lohengrin», gibt ihm eine René-Magritte-Verkleidung, steckt den Chor in die Kostüme des surrealistischen Malers, feiert Schirm, Melone und Apfel sowie die abstrakten Gesten. Soweit, so langweilig – und nicht gerade neu. Der Rest des Ensembles armrudert mal abstrakt, mal peinlich überrealistisch durch die stimmungsvolle Bühne von Olga Ventosa Quintana. Immer wieder taucht ein Riesenbett auf, jedem dämmerts: Das alles ist nur ein Traum von der Herzogtochter Elsa. Wäre ja auch zu märchenhaft komisch, an einen Helden zu glauben, der aus dem Nichts auftaucht, die des Brudermordes angeklagte Elsa rettet, heiratet – und liebt. Ach, würde sie bloss nicht fragen, wer er sei ... Keiner der Protagonisten erhält in diesem Spiel standhaften Charakter, zu viel bleibt vage, wird bestenfalls Klischee.

Schade, denn die Hauptrollen sind zwar nicht gerade nach dem Wunsch eines Physique-du-Rôle-Anhängers, aber sie singen alle gut. Mary Mills ist eine berührende Elsa mit grossem, ausschweifendem lyrischen Ton, Daniel Frank ein vielversprechender, zarter und ausdauernd singender Titelheld. In Jordan Shanahan (Telramund) hat er einen leidenschaftlichen Gegenspieler mit kernigem Bariton. Claude Eichenberger gibt eine korrekte Ortrud mit famosen Ausbrüchen. Pavel Shmulevich (König) neigt zum Zuviel, singt aber sehr verständlich.

Zum Schluss ist Lohengrin per Schwan wieder abgereist und Elsas Bruder Gottfried, der kindliche Retter von Brabant, steht verloren auf der Bühne. Der Spuk ist vorbei – oder vielmehr Elsas surrealer Traum. Mit der altbekannten Traum-Schablone wird jede spannende Schwierigkeit dieser grossen Geschichte umgangen.