Oliver Meier, Berner Zeitung (24.11.2015)
Verloren im Land der Lieblosigkeit: Konzert Theater Bern zeigt Antonín Dvořáks Märchenoper «Rusalka» in einer stimmigen Inszenierung. Doch es gibt da ein paar Grundprobleme.
Als Rusalka eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, findet sie sich auf ihrem Sofa zu einem Wasserwesen verwandelt. Wo mal Beine waren, hängt nun ein glitschiger Fischschwanz. Und ihre Puppen haben sich in hexenhafte Quälgeister verwandelt. Guten Morgen! Unten im Orchestergraben grummeln die Celli, und die Violinen treiben mit den Holzbläsern sehnsüchtig dahin. Franz Kafka («Die Verwandlung») lässt grüssen. Sigmund Freud ebenso.
1901, als Dvořáks Märchenoper in Prag uraufgeführt wurde und zum Grosserfolg wurde, hatte Freud soeben seine Theorie der Psychoanalyse veröffentlicht. Von unterdrückten Trieben war darin die Rede und von Träumen, die es zu entschlüsseln galt. Ob sich der «Rusalka»-Librettist Jaroslav Kvapil damit beschäftigte? Die Berner Inszenierung von Markus Bothe lässt den Gedanken daran aufkommen. Es ist eine Inszenierung, die zwar familientauglich bleibt, aber ohne vorweihnächtliche Aufhübschungen auskommt, vielmehr entschieden von Schmerz und Einsamkeit erzählt – von einer versehrten Frau, nicht von einer Märchennixe.
Vitale Personenführung
Rusalkas Sehnsuchtsodyssee von der Wasser- in die Menschenwelt und zurück – sie spielt sich ab in ihrer Wohnung, in ihrem Kopf gar, so will es scheinen. Es ist eine WG des heiteren Grauens, die Bothe im ersten Akt eröffnet, und er spielt dabei entspannt mit ironischen Brüchen. Gemusterte Tapeten, hochgradig verschimmelt, umgeben ein ranziges Sofa. Der Wassermann (Kai Wegner) sitzt in der dampfenden Badewanne und schläft – bis die Nixen einen Föhn zweckentfremden. Die Gegenwelt des Prinzenschlosses im zweiten Akt ist bloss eine vermeintliche, im Land der mondänen Lieblosigkeit kommt Rusalka (Evgenia Grekova) vom Regen in die Traufe. Der dritte Akt zeigt die Protagonistin im ausweglosen Elend, die Wohnung ist schockgefroren, der Sehnsuchtsmond erblasst. Rusalka, die davon träumte, eine andere zu sein, hat es eiskalt erwischt. Und der Prinz (Angus Wood) liegt totgeküsst am Boden.
Bothe versteht sein Handwerk – das merkt man, nicht zum ersten Mal. «Rusalka» ist die vierte Berner Inszenierung des deutschen Regisseurs und die zweite im Musiktheater nach Janáčeks «schlauem Füchslein» (2014). Einmal mehr freut man sich über eine vitale Personenführung. Einmal mehr wundert man sich aber auch, wie Konzert Theater Bern auf die Idee kommt, eine ureigene tschechische Oper in einer deutschen Fassung zu präsentieren. An anderen Häusern ist die Originalsprache Standard, und das Theater Biel-Solothurn gab «Rusalka» jüngst auch auf Tschechisch. Dvořáks Komposition ist aus der Sprachmelodie des Tschechischen entwickelt. Die deutsche Fassung führt immer wieder zu Holprigkeiten und irritierenden Phrasierungen. Ein Grundproblem der Berner Produktion, und kein kleines.
Orchester im Ungefähren
Dass die Musik nur halbwegs treibt und fliesst, hat allerdings auch mit dem Gastdirigenten Adrian Prabava zu tun, bei dem das Lyrische wiederholt ins Behäbige kippt. Rusalkas berühmtes Sehnsuchtslied an den Mond wird fast zum Schlaflied. Die Suggestivkraft von Dvořáks Musik bleibt des Öftern auf der Strecke – Charles Mackeras hat in seiner Referenzeinspielung (1998) ganz andere Dimensionen erreicht. Wie viel (Spät-)Romantik, wie viel Impressionismus, wie viel Volksmusik steckt in dieser Oper? Prabava schöpft das Potenzial der Partitur nur bedingt aus und bewegt sich mit dem Orchester zu oft im Ungefähren.
Dafür ist die Leistung von Chor und Solisten mehr als solid. Die Produktion baut auf das Ensemble – was auch die Wahl der deutschen Fassung erklären mag. Und mit Evgenia Grekova, seit dieser Saison Teil des Ensembles, ist Rusalka bestens besetzt – grazil in der Erscheinung, mit einer Sopranstimme, die wendig in die Höhe gleitet und in tieferen Lagen etwas Verschattetes hat. Auch Angus Wood behauptet sich stimmlich, bleibt aber darstellerisch etwas blass. Dass auch der Prinz angeblich leidet: Man merkt es nicht so recht.
Es ist eine Produktion, die gerade in den Nebenrollen überzeugt: Kai Wegner ist als väterlicher Wassermann nicht nur körperlich überragend, und herrlich ist, wie fein Andries Cloete (Förster) und Sophie Rennert (Küchenjunge) das volkstümliche Duo ins Ironische drehen. Wieder ein vielversprechender Auftritt von Rennert, wieder in einer Nebenrolle. Wann steht sie mal im Mittelpunkt?