Plakativ und blendend

Verena Naegele, Basler Zeitung (13.12.2006)

Peter Grimes, 11.12.2005, Zürich

Benjamin Brittens Oper «Peter Grimes» am Opernhaus Zürich

Als expressiven Bildersturm präsentieren Regisseur David Pountney und Dirigent Franz Welser-Möst Brittens «Peter Grimes». Ein erschlagender Abend.

Eigentlich ist er ein einsamer gesellschaftlicher Aussenseiter: Peter Grimes, der als Fischer in seinem Haus lebt, für seine Arbeit junge Gehilfen aus dem Armenhaus anheuert und sie unbarmherzig schindet, ohne Rücksicht auf Leib und Leben.

Als Treibender und Getriebener zugleich stellt Britten seinen Peter Grimes dar, eine subtile, mehrdeutige Charakterstudie, bei der scheinbar unvereinbare Emotionen musikalisch wie szenisch zu einem vielschichtigen Seelendrama verschmelzen.

Die geniale Musik mit ihren unerschöpflichen Farbvariationen, durch rezitativische und ariose Teile klar gegliedert, führt uns vom Volksliedhaften bis hin zur puren Dramatik über Klippen und an menschliche Abgründe der Gesellschaft. Doch was bei Brittens Vorlage zwischen den musikalischen Zeilen unschwer zu erkennen ist, führen in Zürich David Pountney und Franz Welser-Möst mit unbarmherzigem Zeigefinger einen Abend lang auf dem Serviertablett vor.

Mit beklemmender Konsequenz ist der gesellschaftliche Mief optisch präsent, angebunden an zwei Säulen, auf zwei Etagen in der Höhe sitzen sie da, die Stickerinnen und Schuhmacher des Dorfs, und schauen auf die hilflosen Versuche Peters hinab, sich zu befreien.

tricks. Das hat durchaus etwas Erstickendes, bombardiert das Auge aber permanent, zumal Pountney auch mit unzähligen Beleuchtungs- und Flimmertricks arbeitet. Mit solch optischer Belebung versucht der Regisseur, die tatsächliche Enge auf der Einheitsbühne (Bühnenbild Robert Israel) wettzumachen, die kaum Aktion und Ortswechsel zulässt. Das brillante Orchester haut in dieselbe Kerbe. Expressiv, plakativ und mit Verve wird da auf das Ohr eingedroschen, werden Stürme mit entfesselter Kraft durchgepaukt und Menschenaufläufe zum Teil mit Rampensingen bis zum Exzess getrieben. Der Chor wurde hervorragend einstudiert von Ernst Raffelsberger.

ausbrüche. Entsprechend dramatisch sind die Solisten, allen voran Christopher Ventris in der Titelrolle, eine imposante Erscheinung mit durchschlagskräftigem Heldentenor, bei dem die Gewaltausbrüche dominieren. Alfred Muffs Balstrode ist ein kraftstrotzender alter Captain, Rudolf Schasching ein derber Bob Boles und Liliana Nikiteanu eine an Brecht anklingende Auntie, wie überhaupt das Plakative in Pountneys Szenerie stark an episches Theater erinnert. Einzige beruhigende und sehr menschliche Note bringt Emily Magee als Ellen Orford mit warmherziger und voll klingender Stimme - ein Genuss. Komödiantisch fein ziselierte Farbtupfer setzen Richard Angas als Richter Swallow und Cornelia Kallisch als drogensüchtige Mrs Sedley. Sie machen deutlich, welche Nuancen eigentlich in Brittens Werk stecken würden.