Sarastros fidele Kommune

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.12.2015)

Die Zauberflöte, 19.12.2015, Basel

Als amüsantes, verspieltes Theater hat Julia Hölscher Mozarts «Zauberflöte» am Theater Basel inszeniert. An der Premiere vom Samstag liess vor allem das Basler Sinfonieorchester unter der Leitung des jungen Deutschen Dirigenten Christoph Altstaedt aufhorchen.

Weihnachtlich inspiriert gibt sich diese «Zauberflöte». Wenigstens ein bisschen: Vor dem Haus steht die «Weihnachtspyramide», eine lämpchenglühende Glühwein-Bude am Rand des Weihnachtsmarkts. Sie kennen das in Klein: Kerzchen erwärmen die Luft und ein Schaufelrad bringt ein hübsches Krippenspiel zum Rotieren. Das hat Mirella Weingarten auf der Basler Theaterbühne nachgebaut, als gigantisches Holzgestell auf Rädern, das mit Muskelkraft an- und umhergetrieben wird. Und damit nicht genug: Drei weitere ähnliche Türme, vollgepackt mit Treppen, Brücken und Nonsense-Mechanik, dienen als Plattform für die Protagonisten von Mozarts «Zauberflöte».

Grosse Detailverliebtheit

Der Versuch, diese Gestelle irgendwie den Personen und Figurenkonstellationen zuzuordnen, ist schnell zum Scheitern verurteilt. Im Programmheft ist zwar viel von Psychoanalyse und den subkutanen Seelenverwandtschaften in Schikaneders «Zauberflöten»-Universum zu lesen, aber die Regisseurin Julia Hölscher, eine der vier neuen Hausregisseurinnen am Theater Basel, hat diesen Ansatz nur am Rand weiter verfolgt. Zum Beispiel sind die Prüfungen, die Tamino und Pamina zu bestehen haben, vor allem für Pamina entscheidende Schritte: Sie muss sich erst von Sarastro lösen, dem sie zuvor zutraulich den Kopf an die Schulter legte und friedlich zu seiner grossen Arie einschlummerte. Und als zweite Probe zeichnet Hölscher ihren Abschied von der Mutter, der Königin der Nacht, die am Ende vernichtet am Boden liegt.

Sonst aber nimmt Hölschers Arbeit vor allem die Verspieltheit dieser Bühnenkonstruktionen auf: Sie inszeniert mit viel Ideenreichtum und einer bewundernswerten Detailverliebtheit ein vergnügliches Herumkraxeln auf Weingartens Turm-Labyrinth. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die Mitglieder des Chors, die alle sehr individuell gezeichnet werden. So entsteht ein farbiges, liebevoll witziges und bisweilen turbulentes Spektakel vor unseren Augen, das sich in Sarastros Hallen am schönsten ausnimmt: Ein vergnügliche Kommune, die jede Grals­ritter-Feierlichkeit vermissen lässt – der Chef ein Bürschchen ohne viel Charisma und Autorität, mit Männern, die sich als Nonnen verkleiden, oder Frauen, die sich als Männer ausgeben, die sich als Nonnen verkleiden. Die Frauenfeindlichkeit, die Schikaneder Sarastros Welt andichtete, wird so auf amüsante Art konterkariert.

Unfreiwillig komisch

Ähnlich viel Vergnügen machte auch die musikalische Seite dieser Produktion. Gesungen wurde durchwegs gut, gesprochen allerdings – und das ist bei einer «Zauberflöte» kein unwesentlicher Teil der Performance – sehr unterschiedlich. Während Thomas Tatzl als solider und profunder Papageno sein österreichisches Lokalkolorit schön einbringen konnte, wirkte das radebrechende Bemühen der Japanerin Mari Moriya als Königin der Nacht oder des Briten Callum Thorpe als Sarastro eher peinlich und unfreiwillig komisch. Sängerisch dagegen gab es bei beiden nichts auszusetzen, Sarastro erhielt noble Tiefe, die Königin fulminante Koloraturspitzen – und wenn von Rache die Rede war nicht blosses Gezwitscher, sondern wahrhaft furios in den Raum geschleuderte Dramatik.

Schlank, kompakt, präzis

Beim Heldenpaar gefiel Sebastian Kohlhepp als müheloser Tamino mit seinem abgerundeten Tenor besser als die Pamina von Anna Gillingham, bei der ein für Mozart zu starkes Vibrato und ihre gleichförmige Stimmfarbe negativ ins Gewicht fielen. Das machte sich umso stärker bemerkbar, als aus dem Graben dezidiert historisch informierte Klänge kamen. Man glaubte kaum, dass hier kein Spezialisten- Ensemble mit historischen Instrumenten am Werk war, sondern das Sinfonieorchester Basel, das mit vielen schönen Bläsersoli gefiel und insgesamt sehr schlank, kompakt und präzis musizierte.

Man ist heute gewohnt, dass die traditionellen Sinfonieorchester ein Bewusstsein für historisch passende Artikulationen mitbringen, aber dass das zu einem so überzeugenden Resultat führen kann, war an dieser Premiere überraschend. Offenbar ist es möglich, wenn ein Dirigent am Pult steht, der solches verlangt, und weiss, wie er es erreichen kann. Der junge deutsche Dirigent Christoph Altstadt – Kapellmeister an der Rheinoper in Düsseldorf und ausgebildet bei Koryphäen wie Boulez, Haitink und Levine – erwies sich als veritable Entdeckung. Mit grosser, sprechender Gestik führte er Orchester wie Sänger denkbar souverän und pflegte dabei eine vorbildliche Piano-Kultur und legte sehr viel Wert auf die Pflege musikalischer Details.