Der Zauberwald als Bildschirmschoner

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (29.02.2016)

King Arthur, 27.02.2016, Zürich

Henry Purcell brachte 1691 in «King Arthur» Musiktheater und Schauspiel zusammen. Am Zürcher Opernhaus zeigt nun Regisseur Herbert Fritsch, wie gross die Kluft zwischen den beiden Sparten ist.

«Sprüngli!», ruft King Arthur und hopst vom Souffleurkasten herunter. Seine Rüstung scheppert prächtig dabei, der sagenhafte Brite ist sozusagen sein eigenes Schlagzeug, und er hört sich gern. Klappernd und rasselnd dreht er seine Runden und trommelt einen Tusch auf dem Brustpanzer. Selbst der Helm, der ihm immer wieder vom Kopf fällt, rumpelt rhythmisch über die Bühne.

Das war die Ouvertüre Nr. 2 in der Neuproduktion von Henry Purcells «King Arthur». Die Ouvertüre Nr. 1 hatte ganz anders getönt: Das von Laurence Cummings geleitete Orchestra La Scintilla hatte sie gespielt, mit jener Wärme und Geschmeidigkeit, die Purcells Musik ausmachen. Melancholie in Dur, Heiterkeit in Moll: Es ist eine eigene, schillernde Klangwelt, in die man sofort eintaucht, in der man ewig bleiben könnte. Wenn einen nicht Arthurs Rüstung daraus herausklöppeln würde.

So zeichnete sich schon in den ersten zehn Minuten dieses gut dreistündigen Abends ab, dass die Gattung Semi-Opera eine heikle ist (einzelne Premierenbesucher flohen da bereits). Purcell hat dieses Mischgenre mit Hingabe gepflegt; mit «Dido and Aeneas» ist nur eine einzige durchkomponierte Oper von ihm überliefert, ansonsten versah er dramatische Texte mit Zwischenmusiken, atmosphärischen Tableaus, kleinen gesungenen Szenen. Die Stücke wurden mit grossem Aufwand und grossem Erfolg gezeigt: «King Arthur» nach dem Text von John Dryden wurde 1691 im Londoner Dorset Garden Theatre uraufgeführt, das bekannt war für seine Bühnentechnik – sie kam bei den Kämpfen und Zaubereien, bei den Geisterszenen und Schäferstündchen sicher zum Zug.

Das müsste, so mochte man vor der Premiere denken, eine ideale Vorlage sein für Herbert Fritsch. Er ist an der Berliner Volksbühne gross geworden und liebt die Oper. Im Zürcher Opernhaus hat er mit «Tri Sestri» von Peter Eötvös ein zeitgenössisches Werk in hinreissend barocke Kulissen versetzt. Und er arbeitet zusammen mit der Kostümbildnerin Victoria Behr, die mit überkandidelten Perücken, skurrilen Tiergewändern und prunkvollen Roben alles erfüllt, was sich ein Purcell nur hätte wünschen können.

Geflimmer statt Glitzer

Dazu kommt, dass sich Fritsch ein kindliches Gemüt bewahrt hat, eine Spielfreude, die eigentlich bestens zu diesem «King Arthur» passt. Purcells Musik mag zwar von Krieg und Gewalt erzählen, aber sie ist dennoch herzerwärmend. Wenn da der Regisseur die Idee hat, nur mit Holzschwertern zu kämpfen, hat das seine Stimmigkeit.

Aber ach, es ist dann doch bei weitem nicht so zauberhaft geworden, wie man gehofft hatte. Zu rotzig, zu grob, zu doof geben die Fritsch-geeichten Schauspielerinnen und Schauspieler die Hauptfiguren des Stücks. Natürlich tun sie es virtuos: Wolfram Koch als klirrender King Arthur, Corinna Harfouch als rauschebärtiger Zauberer Merlin, Florian Anderer als tumber, aber verblüffend akrobatischer Arthur-Feind Oswald. Annika Meier als Zauberer Osmond will einem vermutlich auf die Nerven gehen mit ihrem ewigen Gezüngel. Und Ruth Rosenfeld gibt die blinde, von Arthur wie Oswald umworbene Emmeline zweifellos bewusst so zickig.

Aber es ist eine Kälte in dieser comic­artig verkürzten Darstellung, eine gar nicht kindliche Brutalität, die Purcells Musik diametral entgegensteht. Die Vielschichtigkeit der Orchesterstücke wird in den Dialogen gleich wieder geplättet, die in den Arien geweckten Gefühle sind im Schauspiel nur noch in giftigen Parodien zugelassen. Der riesige Bildschirmschoner, den Fritsch in den Hintergrund der ansonsten leeren Bühne gestellt hat, flimmert bloss, wo der Zauberwald glitzern müsste (einzig das Schattentheater dahinter entwickelt eine gewisse Magie). Und so prägnant die von Sabrina Zwach aktualisierten Sprechblasen auch gefüllt sein mögen: Der kläffende Ton der Protagonisten kappt alles, was sich in der Musik hätte entwickeln können.

Akutes Schleudertrauma

Die vorwiegend aus dem Ensemble und dem Opernstudio rekrutierten Sängerinnen und Sänger (darunter Mélissa Petit, Hamida Kristoffersen, Mauro Peter oder Spencer Lang) geben sich zwar alle Mühe: mit wendigen Koloraturen und innigen Chören, mit stilsicheren Verzierungen und mehr oder weniger fokussiertem Vibrato. Auch das Orchester kommt in seinen häppchenweisen Einsätzen jeweils rasch auf Touren. Vor allem die Bläser bringen die Musik zum Glühen, das Continuo agiert entspannt, und auch der etwas enge Streicherklang blüht immer wieder auf.

Es reicht dennoch nicht. Bereits vor der Pause gibt es Buhs, etliche Zuschauer verziehen sich mit akutem künstlerischem Schleudertrauma nach Hause. Die anderen erleben danach immerhin einige Szenen, die zeigen, wie es hätte sein können. Grossartig etwa, wie sich Simon Jensen als Oswalds Getreuer in den Scheinwerferkegel stellt und zu einem Orchesterstück eine Arie beginnen möchte, die tatsächlich jederzeit beginnen könnte – schöner lässt sich nicht zeigen, wie fliessend und vieldeutig Purcell komponierte. Und im Finale, zu 20 Minuten ununterbrochener Musik, kommt der Klamauk plötzlich zur Ruhe. Schüchtern und zärtlich montiert Emmeline die Uniform ihres Arthur ab; und wie dieser sich dabei selbst abhandenkommt, wie er ohne jede Regung klarmacht, dass die Liebe schwieriger ist als jeder Kampf gegen Oswald, dafür hat sich das Ausharren gelohnt.

Danach darf wieder gejohlt werden, denn den Gassenhauer «Harvest Home» hat man sich schlauerweise für den Schluss aufgespart. Die Schauspielerin Carol Schuler rockt den Saal, auch Dirigent Cummings singt, und das Publikum kann nicht anders, als zu jubeln. Es hört auch nicht auf, als Fritsch aus dem Souffleurkasten klettert. Vielleicht haben die Buhrufer nicht gemerkt, dass er der Regisseur war. Vielleicht hatte Merlin seine Hand im Spiel. Oder vielleicht war das auch einfach nur ein Beleg dafür, wie glücklich Purcells Musik macht.