Wunderbare Landung in der Popkultur

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (29.02.2016)

King Arthur, 27.02.2016, Zürich

Schauspiel mit Musik, Semi-Opera oder was auch immer: «King Arthur» am Opernhaus Zürich

Als der englische Komponist Henry Purcell sein Werk «King Arthur» vollendete, am Ende des 17. Jahrhunderts also, war die Welt der Musik noch vergleichsweise in Ordnung. Es gab keinen Graben zwischen hoher und volkstümlicher Kultur, und Schauspiel und Oper waren Theaterschwestern, die sich glänzend verstanden. Opernkomponisten verhedderten sich nicht in komplizierten Handlungslabyrinthen, sondern vertonten Stoffe, die jedem halbwegs Gebildeten vertraut waren – sei dies der rasende Roland oder der mythische Orpheus.

Die Sage von König Artus oder Arthur, die zu den kapitalen Stoffen der Weltliteratur zählt und bis in die Filmkunst ausstrahlt, ist eine solche Geschichte. Auf den kürzesten Nenner gebracht, geht sie so: Der britische König (oder Ritter) Artus verteidigt sein Land erfolgreich gegen die Macht­ansprüche des Sachsenkönigs Oswald. Zugleich muss er das Begehren Oswalds abwehren, der Artus’ Geliebter Emmeline nachstellt. Am Ende siegen die ­Briten, auch dank dem Magier Merlin, der klüger agiert als Oswalds Zauberer Osmond.

Glatte Zweiteilung

Aufführungen dieses Werks haben fast immer damit zu kämpfen, dass Schauspieler die Arien Purcells nicht singen können, während Sänger mit den gesprochenen Dialogen heillos überfordert sind. Der deutsche Regisseur Herbert Fritsch hat jetzt am Opernhaus Zürich eine Inszenierung gewagt, die das «Gesamtkunstwerk» Oper glatt zweiteilt in eine schauspielerische und eine musikalische Komponente. Das karge Bühnenbild, das nur aus einem flirrenden, farblich changierenden ornamentalen Hintergrund besteht, schuf er selbst; die Kostüme liess er von der unerhört fantasievollen Victoria Behr gestalten. Sie zauberte eine pralle Bilderwelt aus furchterregenden Recken, Tiermenschen, Hirtinnen und Liebesengeln auf die Opernbühne.

Der Abend beginnt bei vollem Saallicht mit der Chaconne von Purcell, im Graben gespielt vom Orchester La Scintilla mit seinem prächtigen historischen Instrumentarium. Ein Ritter in schwerer Rüstung hält seinen Monolog, er stolpert und fällt hin, spielt Fussball mit seinem Helm. Es ist Arthur, der Hau­degen. Auch die drei Soldaten, die sich, mit Holzschwertern behängt, zu ihm gesellen und fürchterlich martialisch tun, sind eher Monty-Python-Figuren als ernst zu nehmende Krieger.

Das Schauspiel ist in der Zürcher Produktion durch und durch Parodie, und das sollte es bleiben. Immer wieder stakst Arthur mit seiner klappernden Rüstung über die Bühne – besonders komisch, wenn er sich anschleicht und ganz leise sein will. Sein Rivale Oswald ist nicht weniger Karikatur: vollgefressen, rothaarig und noch im Kampf mit einer Krone auf dem Kopf, wie man sie von Kinderaufführungen kennt.

Vollends Lachnummern sind die Vasallen der beiden Kriegsherren, und auch die Zauberer – vor allem der wie eine eitle Pariser Variété-Tänzerin gezeichnete eitle Osmond der hochgradig komischen Bewegungskünstlerin Annika Meier – scheinen nicht ganz bei Trost. Merlin, verkörpert von Corinna Harfouch, ist langbärtig und spricht stets mit nobel-bedeutungsschwerer Stimme.

König Arthur wird gespielt von Wolfram Koch, den man eine Starbesetzung nennen darf – und der vielseitige, nicht zuletzt als Frankfurter «Tatort»-Kommissar bekannte Schauspieler enttäuscht die Erwartungen nicht. Als Stolpervirtuosen hatte man ihn bisher noch nicht kennengelernt.

Sein Widerpart Oswald nötigt Florian Anderer totalen Körpereinsatz ab, was selten ohne Slapstickeffekt abgeht. Daneben gibt es zahlreiche höchst charakteristische Figuren, die wie Comic­figuren überzeichnet sind, sei es der schmetterlingshafte Luftgeist Philidel von Mélissa Petit, die schafnasige Dienerin Mathilde von Carol Schuler oder der satyrhafte Erdgeist Grimbald von Hubert Wild.

Und die Musik? Sie wird vom Regisseur geradezu auf Händen getragen und auf ein Podest gehoben, wo sie sich vokal und instrumental herrlich entfaltet. Die beiden Könige singen nicht, und die von beiden angebetete Emmeline hat nur zwei kleine Arien (vorzüglich: Ruth Rosenfeld). Dafür aber gibt es starke musikalische Auftritte etwa vom Kältegeist (Nahuel di Pierro) oder von der Göttin Venus (Anna Stéphany), die am Ende das Glück der Liebe beschwört, nachdem der Chor ausgiebig die Vorzüge der britischen Landwirtschaft gepriesen hat.

Das Purcell-Stück ist neben allem anderen eben auch noch ein opulenter Werbespot für die einheimische Wirtschaft. Bezeichnend ist, wie Venus am Ende die Bühne betritt: Sie wird buchstäblich als Dea ex Machina auf einem Podest auf die Bühne hochgefahren. Ein wenig barockes Maschinentheater bietet die Inszenierung also auch noch.

Slapstick und Schönheit

Schauspiel und Musik, die beiden Schwestern, kommen sich nicht in die Quere in dieser wunderbar leichten und präzisen Bühnenshow. Statt eine Durchdringung der Kunstformen erlebt man ihren Dualismus. Die eine ist vom Geist der Slapstickkomödie geprägt, während die andere ihre ungetrübte Schönheit entfalten kann und sich im luxuriösen Orchesterklang ergeht. Hier der wohlfeile Wortwitz – aus dem Gott Thor wird ein Fussballtor, aus dem Verwalter ein Vergewaltiger – und da die pure Klangkunst aus Rhythmus, Melodie und Klang. Einmal kommen Pantomime und Chorgesang sich näher: in der Szene, in welcher zwei Beratergruppen dem König zeigen, wos langgeht, und sich herzhaft uneinig sind («This way»).

Nachdem das Premierenpublikum am Anfang unwillig wirkte und es auch einige gehässige Zwischenrufe gab, beherrschte am Ende tosender Beifall das Feld. Selbst das war ein Werk des Regisseurs Herbert Fritsch, der im Verein mit dem Dirigenten Laurence Cummings in der Schlussnummer den Popmusiker Purcell entdeckte und seinen Trunkenheits-Chor von der Bühne in den Zuschauerraum überschwappen liess. Da reichten sich Barock und Rock die Hände.