Christian Berzins, Mittelland Zeitung (29.02.2016)
Die Neuproduktion von «King Arthur» ist ein Ärgernis – aber bezeichnend für die Theaterwelt
Ach, die bösen Opernmenschen, jetzt buhen die doch schon zur Pause – und kein Wunder, sagte die Platznachbarin bei der Premiere am Samstagabend nach dem Laugenbrötchen: «Da werden jetzt viele Plätze leer bleiben.» Die Bekannten hatten das Haus tatsächlich bereits erbost verlassen, für «Kindertheater» sei das der falsche Ort. Und als der Klamauk alsbald weiterging, da wurde der Zwischenruf «Geht’s auch mit Niveau?» flugs auf der Bühne kunstvoll ironisiert. Vielleicht war der böse Ruf ja auch von der Bühne gekommen – bezeichnend wäre das gewesen. Hier galt es, selbstsicher auf die Pauke zu hauen.
Charme und Tiefsinn, so zeigte sich, sind Theaterqualitäten für Nostalgiker. Und so kreischt, pfeift und juchzt denn zum Ende das Theaterpublikum vergnügt, ja, manch Opernfan hatte im Laufe des zweiten Teils offenbar Gefallen daran gefunden, dass auf der Opernhausbühne die Sau rausgelassen wurde.
Theater im Opernhaus
Theaterpublikum im Opernhaus? Gespielt wurde nun mal «King Arthur» von Komponist Henry Purcell (1659– 1695) und Dichter John Dryden (1631– 1700): Ein Schauspiel mit Musik, 1691 in London uraufgeführt, eine Halb-Oper, obwohl dieser Begriff in die Irre führt. Ein halbe Stunde lang ist ausser der Ouvertüre und einer Arie keine Musik zu hören, da wird erst mal erklärt, worum es denn hier gehen wird. Doch alsbald vermischen sich Wort und Ton auf wundersame Art und Weise.
Eine tolle Handlung ist das zudem auch, dieser «Arthur»: Der König liebt die blinde Emmeline, sie liebt ihn. Doch da ist auch der Sachsenherrscher Oswald – er begehrt England und die Emmeline! Im Kampf mischen komplizierterweise auch noch Geister mit, gestandene Kaliber wie Merlin und Osmond: Zauber gegen Gegenzauber, Keule gegen Schwert!
Doch so verwirrend-heiter und dumm das alles tönt, man kann dieses zauberhafte Stück auch ernst nehmen. Am Theater Biel/Solothurn etwa hat Katharina Rupp mitsamt Ensemble vor einem Jahr gezeigt, wie charmant und packend diese Geschichte erzählt werden kann. In Zürich spielt man gegen etwas an, ohne aber etwas Neues anzubieten: Es entsteht ein matter Aufwisch von Monty Pythons verstaubter, aber hochwitziger Arthur-Persiflage «Die Ritter der Kokosnuss».
Was ist Krieg?
Wir in Europa wüssten schon lange nicht mehr, wie das ist, im Krieg zu kämpfen, sagt der Zürcher Regisseur. Auf der Bühne wirke es deswegen schnell lächerlich, wenn Schauspieler realistisch Krieg darstellen würden. Deswegen agiere man wie Kinder, die Krieg spielen.
Auf ins Kindertheater! Mit Holz- und Riesenschwertern bis an die Zähne bewaffnet sind die Krieger, um sich alsbald doch realistisch aufs Dach zu geben. Via Traummetapher, die ja noch jedem hilflosen Opern-Regisseur geholfen hat, sich den Schwierigkeiten eines Werks zu entziehen, geht’s los in drei Stunden Klamauk.
Drei Stunden lang wird König Arthur vorzeigen, dass eine Ritterrüstung scheppert. Drei Stunden lang wird die Dienerin kreischen, der Erdgeist im Falsett schreien, drei Stunden lang wird jedes der 1003 Witzchen ausgereizt, drei Stunden lang wird gehopst, hochakrobatisch gesprungen und gekrochen, drei Stunden gekalauert («C-Dur, Hallo?» «B-Dur?» «Arthur!»).
Wenn dann die Wirren gelöst sind und das Paar vereint ist, herrscht szenischer Stillstand. Zu blöd, müsste die Regie jetzt eine Aussage wagen. Schwamm drüber, die Chaosplatte von vorn – Vorhang.
Glücklich, wer den Text versteht
Aufwand (Gagen) wurde nicht gescheut, grosse Schauspieler sind engagiert, Stars wie Corinna Harfouch (Merlin) und Wolfram Koch (Arthur), bekannt aus Fernsehen und Kino. Die zwei kommen mit der heiklen Opernhaus-Akustik noch am ehesten zurecht. Dann aber geht’s mit der Ausdruckspalette und der Klarheit der Sprache rasant bergab – obwohl dauernd geschrien wird, kann sich derjenige glücklich schätzen, der zwei Drittel des gesprochenen Textes versteht. In der 11. Reihe notabene.
Ruhe bringt Purcells Musik, sie schafft es gar, den Aktionswahn des Regisseurs zu stoppen. Und da im zweiten Teil die Musik Oberhand gewinnt, erfreut man sich nun immer mehr an den Klängen des Orchesters La Scintilla, das unter der Leitung von Dirigent Laurence Cummings wohlartikuliert auftrumpft. Da aber die Regie mit dem dramatischen Stillstand, die diese Zauberklänge hervorrufen, nichts anfangen kann, wird aus dem szenischen Ärgernis eine szenische Langweile. Da können Tenor Mauro Peter oder Mezzosopranistin Anna Stéphany noch so schön singen.
Nebenbei: Der gefeierte Theaterregisseur sagt im Programmheft-Interview: «Ich mache die Inszenierung nicht, sie entsteht einfach. Ich denke nicht nach, wenn ich inszeniere.» Wir glauben das aufs Wort.