Herbert Büttiker, Der Landbote (29.02.2016)
Die berühmteste «Semi-Opera» ist Henry Purcells «King Arthur», wobei das «Halb» eigentlich eine Potenzierung meint. Die Produktion im Opernhaus lässt davon wenig spüren und befriedigt höchstens halbwegs.
Eine bunt flimmernde Projektionswand, eine Gruppe farbiger LED-Scheinwerfer und die Versenkung sind schon die ganze barocke Maschinerie und das einzige Bühnenbild für die märchenhafte Geschichte des sagenhaften und auch als Artus bekannten King Arthur. In John Drydens und Henry Purcells 1691 uraufgeführtem Stück kämpft er komisch und pathetisch gegen die Sachsen und um die Liebe zu Emmeline.
Vor der leuchtenden Pixelwand steht King Arthur (Wolfram Koch) in glänzender Rüstung, der nur der Schutz der Männlichkeit fehlt. Mit der ritterlichen Würde ist es aber ohnehin schnell vorbei, der Helm wird zum Fussball, der Ritter hüpft, fällt, schüttelt sich, und die vom Kopf bis zu den Zehenspitzen blecherne Rüstung rasselt, kesselt und klappert. Jede Kapriole ist auch ein weiterer Takt der Blechmusik, die Purcell Konkurrenz macht. Das ist lustig, zieht sich aber schon einmal sehr in die Länge. Und es wiederholt sich so und ähnlich durch den dreieinhalbstündigen Abend und weniger lustig: King Arthurs Watschelauftritt mal von da, mal von da.
Grimassieren, Posieren
Wenn in Zürich hundert Jahre später Dadaismus vielleicht auch einfach mit Blödelei gleichgesetzt wird, so kann diese Premiere als Beitrag zum Jubiläumsjahr durchgehen. Aber man denkt auch an die Artus-Veräppelung von Monty Python im Kino oder das Musical «Spamalot» im Hechtplatz-Theater, man erinnert sich an einen zauberhaften und lustigen Abend mit «King Arthur» vor einem Jahr im Theater Solothurn, und man fragt sich, was auf der Opernbühne schiefläuft oder ob man selber krank, theatermüde oder sonst wie von Antihumoritis befallen ist. Man fragt sich, warum im Publikum sich nichts regt ausser ein paar Zwischenrufen und einigen diskreten Abgängern aus dem Saal.
Die Fragen sind ernst gemeint, denn immerhin war da zum einen die Musik, zum anderen gab es schauspielerische Artistik noch und noch. Grimassieren, Posieren, Purzeln und Chargieren als Parforcetour in grösstmöglicher Penetranz – das muss man ja auch erst mal können, und so war nicht nur Wolfram Kochs durch das Stück taumelnder Arthur eine Spitzenleistung, sondern auch Ruth Rosenfelds minneholde Emmeline, Carol Schulers verbiesterte Mathilda, Florian Anderers tumber Sachsenkönig Oswald, Annika Meiers berserkerhafter Zauberer Osmond und viele Beiträge mehr.
Wenn Komik sich totläuft
Corinna Harfouch nahm man den Zauberer Merlin gern ab, Mélissa Petits kindisches Getue als Luftgeist mochte eher nerven. Aber insgesamt: Welch ein Klamotten-Personal, das mit viel Aufwand und Verrücktheit, von Victoria Behr originell kostümiert, Bild für Bild für einen kolossalen Comicband gut ist. Das zeigen die Bilder im Programmheft schlagend, auf der Bühne verwässert es sich im uferlosen Treiben und läuft sich schnell zu Tod im überlauten und schwerfälligen Gang des Schauspiels (es hat auch eine Handlung!).
Das schleppende Tempo des Abends machte zumal im ersten Teil die Musik zur gelegentlichen Einlage, im zweiten stimmte die Balance besser, sodass «Semi-Opera» eher im eigentlichen Sinn als Potenzierung des Schauspielerischen und Musikalischen erschien (wobei das Tänzerische hier ja ohnehin fehlte). Und es ist Musik immerhin von Henry Purcell, die ja so genial pointiert ist, dass sie ankommt wie süffiger Pop. Das Orchestra La Scintilla lässt sich unter der draufgängerischen Leitung von Laurence Cummings auch nicht zweimal bitten und das feine Geäder der Blockflöten und Gamben im Tutti mit starkem Bassfundament, mit Pauken und Trompeten auch zum vollblütigen Barocksound anschwellen. Die sängerischen Einlagen fügen sich zum grossen Teil hervorragend in den vitalen Musikbetrieb: Gute Figur machen etwa Deanna Breiwick als Cupido, Ann Stéphany als Venus, Nahuel di Pierro als Kältegeist, um nur einige zu nennen.
Musikalische Highlights
Das vokale Spektrum ist personenreich und auch im Chor solistisch aufgelockert, und es spart nicht mit musikalischem Witz, wenn die Schäfer ihr einfaches und sinnenfrohes Leben preisen, zwei Schäferinnen aber Heiratsverträge zustecken, die sie sich rechtzeitig unterzeichnen lassen sollen. Unter den grossen, vielteiligen musikalische Szenen (in der Terminologie der Zeit die «Masques») ist die sogenannte Frostszene die glänzendste und in ihrer Chromatik und klirrenden Rhythmik ein kompositorischer Höhepunkt. Der Chor in Schneeflocken-Kostümen, Cupido als barocker Engel mit rosa Flügelchen – auch szenisch kommt da einiges in Stimmung, nur ist auch da zu beobachten, dass sich die Regie nicht sonderlich um szenische Reize bemüht, sondern eine gewisse Fadesse geradezu zur Tugend zu erheben scheint.
Magie gesucht
Vielleicht ist es doch zu wenig, wenn Herbert Fritsch, verantwortlich für Inszenierung und Bühne, im Interview erklärt: «Ich mache die Inszenierung nicht, sie entsteht einfach. Ich denke nicht nach, wenn ich inszeniere, ich versuche nicht, zu erklären. Ich lasse es passieren. Wenn wir Glück haben, entsteht Magie.»
Wo war dieses Glück? Jeder suchte es an diesem Abend auf seine Weise, und manchmal braucht es nicht viel. So beim Auftauchen der beiden Sirenen und bei ihrem schönen Gesang, im Schlusstableau auch, wenn das Lob Britanniens gesungen wird, und in erhabener Statik, erstaunlicherweise szenisch kaum konterkariert, die Venus England als Sitz der Freuden und Wonne preist. Man kann wohl auch mehr aufzählen, aber auf die Summe eines magischen Theaterabends kommt man nicht.
Finalzauber
Die demokratische Legitimierung für den eigenen Befund aus dem Publikum herauszuhören, war nicht möglich. Der Ruf «Jetzt aber mit Niveau!» prallte an der überlegenen Reaktion der Schauspielerin Annika Meier ab. Am Ende war der Applaus stürmisch, jedenfalls erregt, ein Pfeifkonzert, das man deuten konnte, wie man will, vereinzelte Buhs. Der Regisseur entging dem Plebiszit, indem er unvermittelt aus dem Souffleurkasten stieg. So viel Theaterzauber musste sein.