Die Musik schlägt aus dem Dunklen zu

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (05.04.2016)

Macbeth, 03.04.2016, Zürich

Statt Theaterblut gibts Krähenfedern: Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Barrie Kosky zeigen im Zürcher Opernhaus einen düsteren «Macbeth» von Giuseppe Verdi.

Wer wahnsinnig wird, zieht sich vorher ein weisses Nachthemd an: An diese Opernregel hält man sich selbst in diesem neuen Zürcher «Macbeth», in dem sonst alles anders ist als gewohnt. Ganz anders – und atemberaubend gut.

Kein Wunder, kommt auch Macbeth schon bald ins Japsen. Er hat soeben die Prophezeiungen der Hexen gehört, deren Verwirklichung er später mit ein paar Morden beschleunigen wird. Ihre Stimmen kommen aus der Dunkelheit, während sich aus dem Schwarz der Bühne eine stumme Masse fast nackter Frauen, Männer, Mannweiber nach vorne drängt. Vielleicht sind sie tot, vielleicht existieren sie nur in Macbeths Kopf; irgendwann sind sie wieder weg, und er steht da und keucht. Es dauert eine Weile, bis er wieder singen kann, und man versteht das gut.
Denn was man an diesem Abend sieht oder was man im Dunkel der Bühne eher nicht sieht und dafür umso besser hört: Das ist keine weitere Version von «Verdi ­einmal anders» und «Nacktheit bringt Aufmerksamkeit», sondern eine ebenso kluge wie sinnliche Neuentdeckung eines nur vermeintlich bekannten Werks.

Zwei Stühle, zwei Dolche

Sie beginnt bei der Musik, die der Grieche Teodor Currentzis wie mit einem Skalpell dirigiert. Präzis und unerbittlich legt er zusammen mit der entflammten Philharmonia Zürich eine Schicht um die andere frei. Dabei findet er nicht weniger Ungeheuerlichkeiten als in Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk», jener anderen Macbeth-Oper, mit der er einst seinen Einstand am Zürcher Opernhaus gegeben hatte.

Dass Verdi keinen Tenor-Protagonisten einsetzte, war ja nur der offensichtlichste Verstoss gegen die damals gültigen Regeln. Es gibt noch viele weitere, und Currentzis spitzt sie zu: Zäsuren werden zu Pausen, zu existenziellen Abgründen; der von den Bässen her gedachte Klang flutet den Raum, brodelt unter scheinbar lüpfigen Melodien und sticht zu an Stellen, wo man es nicht erwartet hätte. Man erschrickt mehr als einmal, wenn das Orchester aus dem Nichts zuschlägt. Und so bedrohlich hat eine M-ta-ta-Begleitung selten gewirkt.

Gleichzeitig klingt das Ganze organisch, unverkrampft, stilsicher. Der junge Wilde, der uns hier die «Macbeth»-Geschichte um die Ohren haut, heisst nicht Currentzis, sondern Verdi; der Dirigent ist nur ein besonders engagierter Übersetzer seiner Absichten.

Und er hat im australischen Regisseur Barrie Kosky einen idealen Verbündeten gefunden. Einen, der zwar bunte Bilder mag, der aber auch genau weiss, wann sie nur ­stören würden. Die Ingredienzien seiner «Macbeth»-Inszenierung lassen sich an einer Hand abzählen: wenige Lichtspots, mit denen Bühnenbildner Klaus Grünberg das Dunkel unterbricht. Zwei Stühle. Zwei Dolche. Einige Meter Luftschlangen. Ein paar tote Krähen.

Das reicht, um das Grauen dieser ­Geschichte erlebbar zu machen, den Irrsinn, der das Ehepaar Macbeth packt, nachdem es seine königliche Zukunft vorhergesagt bekommen hat. Man sieht die beiden, wie sie auf ihren Stühlen sitzen: hart und fordernd sie, abhängig und unsicher er. Die anderen Figuren treten nur selten ins Licht – oder gar nicht. König Duncan etwa, im Libretto als stumme Partie aufgeführt, taucht nie auf; nur ein paar Krähenfedern erzählen von seinem gewaltsamen Tod. Die übrigen Gegner und Begleiter der Macbeths sind sich mit den Langhaarperücken, die ihnen Klaus Bruns aufgesetzt hat, zum Verwechseln ähnlich: Sie spielen keine Rolle in dieser Geschichte. Die Macbeths treiben ihren Untergang allein voran und schreien nach Rache, obwohl sie die einzigen Täter sind.

Das Schreien wird dabei wörtlich genommen, ganz im Sinne des berühmten Briefes, mit dem sich Verdi vor der Uraufführung 1847 gegen die Sängerin Eugenia Tado­lini gewehrt hat: «Die Tadolini hat eine wunderbare Stimme, klar, durchsichtig und kraftvoll, ich aber möchte für die Lady eine raue, erstickte, hohle Stimme», schrieb er, und vermutlich hätte er die russische Sopranistin ­Tatiana Serjan vom Fleck weg engagiert, wenn er sie hätte hören können. Sie ist als Lady Macbeth bekannt geworden, und nach ihrem Zürcher Debüt weiss man, warum: Zwar kann sie durchaus schön singen und tut das auch, wenn die Musik es zulässt. Aber sie hat eine Härte in ihrer Stimme, eine Dominanz selbst im Flüsterton, der man sich nicht ent­ziehen kann.

Luftschlangen wie Giftpfeile

Erst recht nicht Macbeth, dessen Nerven schon weit früher blank liegen als ihre. Der grandiose deutsche Bariton Markus Brück – auch er tritt erstmals am Opernhaus auf – wird regelrecht durch die Geschichte geschleudert und zeigt dabei im ­schönsten Einklang mit seiner Lady, wie Kontroll­verlust tönt. «Ogni rumor mi spaventa» («Jedes Geräusch erschreckt mich») singt er einmal, und es klingt wie ein Schrei, der erst allmählich zum Gesang gebändigt wird. Dann kippt er wieder ins Gegenteil, in die macht­besoffene, kichernde Einladung zum Fest, das dann doch keines wird. Denn da sind wieder diese nackten Gestalten, die Luft­schlangen werfen, als seien es Giftpfeile. Und der (fürs Publikum unsichtbare) Geist seines mittlerweile ebenfalls ermordeten Konkurrenten Banquo lehrt sogar die Lady das Fürchten. So süffig sie ihr Trinklied beim ersten Mal singt, beim zweiten Mal muss sie sich jeden einzelnen Ton abringen.

Danach sitzt sie dann eben in ihrem Nachthemd da und redet irr und lautlos mit der Krähe, die sich als Todesbote auf die Lehne des zweiten Stuhls gesetzt hat – ein weiteres Meisterwerk der Zürcher Vogel­robotik nach den Hühnern in der «Zauber­flöte». Der Tod selber kommt hinter der Bühne, das Werk will es so, und ein wenig bedauert man das: Der Sog, den die Aufführung vor der Pause hatte, lässt im kürzeren zweiten Teil ­etwas nach. Verdi platzierte hier mit «Patria oppressa» einen seiner beliebten politischen Chöre; da kann nicht einmal die vibrierende Gestaltung des Opernhaus-Chors den Spannungsabfall ver­hindern. Als Macduff bekommt auch ­Pavol Breslik eine Arie, die nicht nur vom zentralen Drama ablenkt, sondern mit viel Vibrato auch vom Gesangsstil der anderen Protagonisten.

Und schliesslich stirbt der von den Strapazen der Partie und Macduffs Dolchstössen gezeichnete Macbeth sehr lange. Immerhin, er tut es eindrücklich. Gleich fünf Krähen haben neben ihm Platz genommen, und auch er erzählt nun stumm von der Sinnlosigkeit seines ­Todes. Vielleicht mokiert er sich auch über die Jubel­gesänge für den neuen ­König Malcolm, der ebenfalls nach einem Mord an die Macht gelangt ist und wohl irgend­wann von Banquos Sohn erledigt wird. Die Machtgier, die Gewalt, der Wahnsinn pflanzen sich ewig fort.

So zielt diese Verdi-Oper ganz ohne zeitgenössische Accessoires, allein mit der Wucht ihrer Klänge und Bilder, ­direkt in die Gegenwart. Wer sie verpasst, ist selbst schuld.