Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (05.04.2016)
Wie man mit wenig Licht viel erreicht, zeigt der australische Regisseur Barrie Kosky in Verdis Oper «Macbeth» am Zürcher Opernhaus. Dieser «Macbeth» ist so schwarz wie wohl noch keiner, und das gilt durchaus auch für die musikalische Seite unter Teodor Currentzis.
Dunkelheit ist Programm in dieser Inszenierung. Schwarz hebt sich der Vorhang vor schwarzem Hintergrund. Langsam schält sich im Licht einer einzigen runden grossen Lampe ein undefinierbarer Haufen heraus, der sich als ein Mensch, begraben unter schwarzen Vögeln entpuppt: Macbeth. Aus dem Dunkel schiebt sich eine undefinierbare Masse auf ihn zu: Nackte Menschen, in irrealen Bewegungsmustern oder Posen, die an die Bilder von Spencer Tunick erinnern, verfremdet durch die auf sie projizierten Bilder ihrer selbst, unscharf, unbestimmt, ein Mix aus Geschlechtern auch: Sind es die Hexen?
So klar wird das in dieser Inszenierung nicht, ebenso wenig wie die Vögel über ihre Präsenz als sprichwörtliche Boten des Unheils und Hexentums weiteres Profil gewinnen. Es scheint, nur Macbeth kann dieses Menschenknäuel sehen und hören. Es scheint, als seien auch sie nur die Stimmen in seinem Inneren, so wie später die Erscheinungen der Geisterwesen und kommenden Könige sich unsichtbar nur in ihm und auf seinen Lippen manifestieren. Markus Brück spielt das meisterhaft. Kleine Lampen hinter ihm suggerieren die Unendlichkeit eines langen Ganges. Ein Nirgendwo, ein Albtraum-Ort, aus dessen Dunkel sich unversehens Gestalten schälen.
Nur das Nötigste
Dabei hat die Bühne von Klaus Grünberg keine Wände, die schwachen Lämpchen hängen an langen Kabeln vom Bühnenhimmel. So können die Chöre ungehindert von der Seite her singen, was der Regisseur Barrie Kosky dazu nutzt, die Bühne frei zu halten von weiteren Per- sonen, von Banketten, von Personal und selbst vor vielen weiteren Figuren, die sich aus Shakespeares Vorlage in Verdis Oper gerettet haben.
Nur das Nötigste gewinnt Gestalt in seinem «Macbeth», und das sind ganz klar Macbeth und die Lady. Kosky schildert Verdis Oper ganz konsequent als grosse Beziehungsszene dieses im Machthunger vereinten Ehepaars – er selbst spricht von einem «Totentanz» oder einer «Schwarzen Messe». Er zeigt sie als symbiotisch starkes Paar mit gleichen Ideen und Zielen, die eigentlich gar nicht ausgesprochen werden müssten. Selbst in ihren Wahnvorstellungen werden sie von der Regie nicht zu Schwächlingen reduziert, sondern behalten ihre Unnahbarkeit, ihre Aura der Macht und ihre fast schon dämonische Präsenz.
Da, wo Kosky dieses auf sein Protagonistenpaar reduzierte Konzept aus praktischen Gründen nicht ganz durchhalten kann – im «Patria oppressa»-Chor und der Heldenarie des Macduff, die Pavol Breslik strahlkräftig aber auch etwas eindimensional im Timbre sang – verliert die Inszenierung deutlich an Spannung, gewinnt sie in der grandiosen Wahnsinns-Szene der Lady und im Finale von Macbeth (mit der Arie aus der ersten Fassung) aber wieder zurück.
Der Australier – Nachfolger von Opernhaus-Intendant Andreas Homoki an der Komischen Oper Berlin – hat sein ganzes Können an suggestiver Bildsprache und Genauigkeit der Personenführung für sein Zürcher Debüt mitgebracht und diesen «Macbeth» zum spannenden Opern-Horror-Thriller gemacht.
Motiviertes Opernorchester
Unterstützt wurde er darin nicht nur von seinen Sängerdarstellern, sondern auch vom Dirigenten Teodor Currentzis. Der eigenwillige, für seine Mozart-Einspielungen hoch gelobte Grieche liess sich mit viel Offenheit auf dieses Konzept, aber auch auf Verdis Partitur ein, die er seinerseits auf ihre schwarzen Farben und ihre düstere Dramatik, auf die Schärfen der Akzente und die harmonischen Schatten absuchte. Mit dem motivierten Zürcher Opernorchester erreichte er ein überzeugendes Klangbild, und etablierte eine agogisch vielschichtige Interpretation, die dynamisch manchmal etwas schnell etwas zu laut wurde, die in der Präzision noch ihre Mängel hatte, aber durch ihre Originalität und Kompromisslosigkeit überzeugte.
Das gilt auch für die beiden Protagonisten: Die russische Sopranistin Tatiana Serjan sang eine intensive, glühende Lady – auch sie zwar manchmal etwas gar zu rasch in den höchst dramatischen Regionen des Singens, wo eine sanftere Steigerung mehr Sinn und Effekt gemacht hätte. Und die Kontrolle ihrer Stimme – bezüglich Vibrato, Intonation, Linienführung – könnte eleganter und geschmeidiger sein. Beim Markus Brück hingegen gab es neben seiner szenischen Präsenz auch stimmlich nichts auszusetzen: Ein fulminanter Macbeth von einem intelligenten Sänger, der seine Farben und Stilmittel gezielt und souverän einzusetzen weiss.