Halluzination und Fantasie

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (19.04.2016)

Macbeth, 03.04.2016, Zürich

Ehrgeiz, Machtstreben und Libido treiben Macbeth und seine Lady in den Wahnsinn. Alles, was sie erleben, machen sie gestisch und mimisch sichtbar - in minimaler Ausstattung ohne überflüssige Aktionen.

Szenisch packend wie selten und musikalisch stringent ist Verdis „Macbeth“ am Opernhaus Zürich zu erleben. Regie führte Barrie Kosky. Die Philharmonia Zürich leitet Teodor Currentzis.

Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, konzentriert sich in seiner Regie ganz auf Macbeth, seine Lady und darauf, wie sich das Streben nach Macht in ihre ohnehin dunklen Seelen frisst - was nur mit dem gerechten und gerächten Tod enden kann. Kosky braucht dafür keine Hexen und keine Erscheinung des ermordeten Banco. Er transponiert den Abend auf eine surreale Ebene. Die Hexen existieren nur in der Fantasie des Paars und sind konsequenterweise unsichtbar. Alles, was Macbeth und die Lady erleben, machen sie gestisch und mimisch sichtbar, ohne überflüssige Aktionen. Die Ursache für Ehrgeiz und Machtstreben liegt im Körperlichen: Kosky zeigt dies mit Hilfe von Mann-Frau-Zwitterwesen, die sich etwa in den Hexenszenen um Macbeth winden. Ehrgeiz, Machtstreben und Libido kombiniert treiben das Paar in den Wahnsinn.

Macbeth ist ein Nachtstück. Bühnenbildner Klaus Grünberg hat dem Regisseur für sein Kammerspiel einen schwarzen, nur an den Kanten schwach beleuchteten Tunnel geschaffen. Einzig die beiden Protagonisten stehen, sitzen oder agieren im fahlen kalten Spotlicht, alles andere um sie herum bleibt im Dunkeln. Der hervorragend vorbereitete Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), die Statisten. Ja sogar die die übrigen Solisten, unter denen nur Banco zu Beginn in das nach Außen gekehrte Innere Drama ein Stück weit einbezogen ist.

Die Produktion steht und fällt mit zwei großartigen Singschauspielern, die sich nicht scheuen, den stärkeren Akzent auf das Darstellen als auf den makellosen Gesang zu legen.

Markus Brück als Macbeth erfüllt diese Bedingung par excellence. Soll man diesen Menschen verdammen oder doch Mitleid haben? Brück lotet die menschliche Seele bis in die abgründigsten Tiefen aus, kehrt das Dämonische ans Licht und setzt alle Möglichkeiten seines voluminösen Baritons für die stimmliche Charakterisierung ein.

Seine Lady ist – wie in Wien und 2011 in Salzburg – Tatjana Serjan. Überzeugt hat sie auch in den anderen beiden Produktionen, aber in Zürich setzt sie die eigene Messlatte nochmals höher. Eine solche Lady, die den Gatten in seinem dunklen Drang nach dem Machtgewinn derart bestärkt, kann nur ob der eigenen Schlechtigkeit dem Wahnsinn verfallen.

Die übrigen Protagonisten dürfen immerhin stimmlich punkten. Wenwei Zhang ist ein ausdrucksstark mahnender Banco, der das Verderben von Macbeth von der ersten Prophezeiung der Hexen an voraussieht. Pavol Breslik gefällt in der undankbaren Rolle des Macduff mit seinem kernigen Timbre und einer perfekten Phrasierung, Airam Hernandez gibt den Macbeth-Bezwinger Malcolm.

Teodor Currentzis steht nicht zum ersten Mal am Pult der Philharmonia Zürich. Es ist hörbar, wie gut sie miteinander harmonieren. Schon das schneidende Blech im Preludio kündigt an, dass den Zuschauer auch vom Orchester ein außergewöhnlicher Abend erwartet. Currentzis lässt die Streicher mit stark dosiertem Vibrato spielen, setzt auf eine durchsichtige Stimmdurchdringung und straffe Tempi. Gemeinsam mit der Szene baut die Philharmonia Zürich eine emotionale Spannung auf, die einem stellenweise die Luft abschnürt.

Etwas verloren wirkt an diesem Abend nur der Chor „Patria oppressa! Il dolce nome“ zu Beginn des vierten Akts: Dass hier plötzlich das unterdrückte Volk für ein paar Minuten im Mittelpunkt steht, erscheint wie ein Bruch. Ist Macbeth vielleicht doch mehr als ein Kammerspiel? Sei es drum. Nikolaus Harnoncourt hätte an diesem Abend sicher seine Freude gehabt.

Zu seinem Gedenken spielte die Philharmonia Zürich am Sonntag (17.4.) unter der Leitung von Fabio Luisi Beethovens „Neunte“ - jenes Werk, das Harnoncourt am Pult seines Concentus demnächst hätte dirigieren wollen.