Politthriller als Eifersuchtsdrama

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (21.06.2016)

I Puritani, 19.06.2016, Zürich

Andreas Homokis Inszenierung von Bellinis «I Puritrani» beginnt als politischer Kampf und endet als privates Eifersuchtsdrama. Für ein bewegendes Opernerlebnis aber sorgt die Sängerin Pretty Yende.

Ein Tenor möchte mit einer Sopranistin ins Bett, doch ein Bass sucht das zu verhindern. Glaubt man diesem Bonmot, so geht es in der Oper immer um dasselbe. In Vincenzo Bellinis Opera seria «I Puritani» ist der Bass immerhin ein Bariton. Er heisst Riccardo Forth und ist Oberst der Puritaner. Er liebt, einseitig, Elvira, die Tochter des puritanischen Gouverneurs Lord Valton, der sie ihm in Anerkennung seiner militärischen Verdienste als Ehefrau versprochen hat. Doch am Tag der geplanten Hochzeit kommt alles anders: Elvira nämlich liebt Arturo, einen Parteigänger der verfeindeten Stuarts. Durch die Fürsprache von Giorgio, Elviras Onkel, besinnt sich Valton eines Besseren und willigt in die Heirat seiner Tochter mit Arturo ein. Das Drama aber nimmt seinen Lauf.

Für die republikanische Idee

Der Überbau von Bellinis Oper ist eindeutig politisch-konfessioneller Natur: Sie spielt zur Zeit des englischen Bürgerkriegs, kurz nach der Ermordung von König Karl I. im Jahr 1649. Die puritanischen Republikaner haben den Sieg über die Royalisten, die Anhänger der katholischen Stuarts, davongetragen und sind daran, das Königreich in eine Republik zu verwandeln. Die republikanische Idee war ganz nach dem Geschmack Bellinis, und die Uraufführung der «Puritani» im Jahr 1835 in Paris traf zugleich den Zeitgeist der Juli-Monarchie des Bürgerkönigs Louis-Philippe.

Der Zürcher Intendant Andreas Homoki beginnt mit seiner Inszenierung ganz im politischen Sinn: Während der Ouvertüre zeigt eine Pantomime die Ermordung König Karls und die Erniedrigung und Gefangennahme von Königin Enrichetta. Doch kaum ist der dramatische Knoten geschürzt, entwickelt sich die Handlung immer deutlicher zu einer privaten Eifersuchtsgeschichte. Riccardo, der seine Zurücksetzung nicht überwinden kann, reisst in Homokis Deutung die Macht an sich, stellt Valton und den anfänglichen Drahtzieher Giorgio kalt. Als am Schluss der Oper eine Amnestie die Ermordung des gefangenen Arturo verhindern soll, gibt Riccardo den Befehl, dass er dennoch geköpft werde. Die Pantomime des Anfangs wiederholt sich, aber diesmal ist der Mord eine rein privat motivierte Rache. Wo bleibt da die Politik?

Eine sensationelle Entdeckung für Zürich ist die Sängerin Pretty Yende, die in der Rolle der Elvira debütiert. Seit ihrem spektakulären Auftritt vor drei Jahren an der New Yorker Metropolitan Opera an der Seite von Startenor Juan Diego Flórez ist die Südafrikanerin überall begehrt. Man versteht das sofort, wenn man sie hört und sieht. Ihr Koloratursopran ist umwerfend, die extremen Höhen sitzen absolut sicher, die grössten Anstrengungen gelingen mühelos, die klanglichen Möglichkeiten sind schier unerschöpflich. Dazu kommt eine schauspielerische Begabung, die insbesondere die Wahnsinnsszenen des zweiten Akts zu höchster Wirkung steigert.

Elvira glaubt nämlich, ihr Arturo sei ihr untreu geworden und habe in Königin Enrichetta, die er vor der Verfolgung der Puritaner gerettet hat, eine neue Geliebte gefunden. Als Arturo war ursprünglich Flórez vorgesehen, der die Rolle aber zurückgab und durch Lawrence Brownlee ersetzt wurde. Mit seiner kultivierten Tenorstimme hat Brownlee freilich einen schweren Stand, weil ihm Yende schlicht die Show stiehlt.

Eine gute Figur macht Liliana Nikiteanu als Königin Enrichetta. Starke Besetzungen sind Michele Pertusi als Giorgio und George Petean als Riccardo. Einen Glanzpunkt der Aufführung bildet ihr Duett am Schluss des zweiten Akts, in dem Giorgio Riccardo vergeblich zum Verzicht auf Rache auffordert. Kleinere Rollen realisieren Wenwei Zhang als Lord Valton und Dmitry Ivanchey als Offizier Bruno.

Ein Fan am Pult

Einen Blickfang stellt die von Henrik Ahr entworfene Bühne dar: Eine zylindrische Bretterwand, die eine variable Öffnung aufweist und sich auf einer Drehbühne ständig bewegt, gibt immer wieder Einblicke in Innenwelten und Parallelhandlungen frei. Das ist eine wirkungsvolle Idee, aber bei einer Spieldauer von zweieinhalb Stunden wird sie reichlich überstrapaziert. Wenn Elvira im Wahn phantasiert, nicht Arturo, sondern sie selbst werde umgebracht, sieht man in diesem Innenraum aufgehängte Puppen und aufgeschichtete Frauenleichen. Sie tragen dieselben Kleider wie Elvira. Bei den Kostümen hat sich Barbara Drosihn von historischen Modellen inspirieren lassen, ohne aber Puritanergewänder und Soldatenuniformen genau zu kopieren. Denkt man somit nicht zwingend an den englischen Bürgerkrieg, so evozieren die Kostüme doch eine «alte Epoche» und erschweren es den Zuschauern, die Handlung auf die heutige Zeit zu beziehen.

Spiritus Rector der «Puritani»-Produktion ist Generalmusikdirektor Fabio Luisi. Nach «La Straniera» und «I Capuleti e i Montecchi» dirigiert der erklärte Bellini-Fan in Zürich bereits die dritte Oper des italienischen Komponisten. Die Vertrautheit Luisis mit der Partitur offenbart sich auf verschiedenen Ebenen: Er animiert die Philharmonia Zürich zu sehr farbigem Spiel, erzeugt Spannung, indem er lyrische und dramatische Teile hart aufeinanderprallen lässt, und koordiniert die Orchesterbegleitung ausgezeichnet mit den Sängern auf der Bühne. Noch nicht restlos klappt an der Premiere die rhythmische Koordination mit dem Zürcher Opernchor, der in dem Stück vielfältige Aufgaben als Soldaten, Brautjungfern und Schlossbewohner zu realisieren hat.