Christian Wildhagen, Neue Zürcher Zeitung (20.09.2016)
Der Chor ruft «Peng!», und zumindest die Braut hat am Ende gut lachen: Herbert Fritsch macht aus Carl Maria von Webers schwer zu inszenierendem «Freischütz» am Opernhaus Zürich eine grelle Revue.
Er mag das Wort «quietschbunt» nicht sonderlich. Vielleicht weil es die äussere Anmutung vieler seiner Inszenierungen gleichermassen plakativ wie treffend beschreibt? Der Regisseur Herbert Fritsch mag auch das böse Wort «Klamauk» über seine Regiearbeiten nicht mehr lesen – wohl weil es leicht all jenen Betrachtern in den Sinn kommen mag, die sich nicht von dem grellen Aktionismus blenden lassen, der gewohnheitsmässig in Fritschs Bühnenkosmos tobt. Seit 2013 inszeniert Fritsch, immerhin das lebendigste Enfant terrible aus dem Dunstkreis von Frank Castorfs siecher Berliner Volksbühne, auch Opern. Nach seinem Debüt mit Péter Eötvös' «Drei Schwestern» sowie dem «King Arthur» von Henry Purcell in der vergangenen Spielzeit ist Carl Maria von Webers «Freischütz» nun bereits seine dritte Regiearbeit für das Opernhaus Zürich. Nimmt man seine regelmässigen Engagements am hiesigen Schauspielhaus hinzu, kann man fast schon von einer Fritsch-Schwemme an der Limmat reden. Doch steht die Qualität seiner Produktionen überhaupt dafür? Nach der ungewöhnlich kontrovers aufgenommenen «Freischütz»-Premiere vom Sonntag darf man da sehr wohl geteilter Meinung sein.
Männliche Versagensangst
Sympathisch an dieser Neuinszenierung von Webers «Romantischer Oper in drei Aufzügen» wirkt die spielerische Nonchalance, mit der Fritsch all den ideologischen (und nachfolgend auch den ideologiekritischen) Ballast beiseitefegt, der sich seit der Uraufführung 1821 um den «Freischütz» angelagert hat. Die erbitterten Diskussionen um diese vermeintliche «Nationaloper» der Deutschen, die nach dem kontinuierlichen Missbrauch des Werks bis 1945 in der Nachkriegszeit entbrannten, mögen im Hintergrund präsent sein, sie gewinnen aber szenisch keinerlei Relevanz.
Es gibt keinen (deutschen?) Wald, der doch laut Hans Pfitzners Bonmot die geheime Hauptrolle in dieser Oper spielen soll; und wenn geschossen wird, was im Jäger-Milieu naturgemäss häufiger vorkommt, hebt man bloss eine imaginäre Flinte, und der Chor ruft einfach «Peng!». Auch sonst bemüht sich Fritsch, vieles, ja das meiste anders zu machen bei diesem Stück, von dessen charakteristischer Farbe (Grün?) und dessen prägendem Klang (Hörner – leider unsicher und unsauber am Premierenabend) wohl jeder Opernbesucher seine festgefügten Vorstellungen hat.
Bei dieser Suche nach einer alternativen, von Klischees und Traditionen unbelasteten «Freischütz»-Welt landet Fritsch dann aber eben doch wieder beim Klamauk. Nur dass die Produktion weder die darstellerische Präzision seines Liederabends «Wer hat Angst vor Hugo Wolf» im Schauspielhaus noch den Brachialhumor des «King Arthur» erreicht. Stattdessen zieht sich dieses – jawohl! – quietschbunte Veralberungsspektakel über drei Stunden auf dem Niveau einer mittellustigen Comedy-Veranstaltung dahin.
Obendrein nimmt der Regisseur dabei einige deutliche Anleihen bei Robert Wilsons szenisch ungleich virtuoserer «Freischütz»-Adaption «The Black Rider». Inhaltlich ist Fritsch dagegen zu dem Werk wenig mehr eingefallen, als dass es darin um männliche Versagensängste gehe. Agathe, die anfangs stimmlich sehr herbe Lise Davidsen, erscheint folglich in einem übergrossen blauen Reifrock (Kostüme: Victoria Behr), einem wahren Ungetüm, das ihre lebenslustige Cousine Ännchen (spielerisch, aber ohne echte Soubretten-Leichtigkeit: Mélissa Petit) daneben aussehen lässt wie eine Zwergin. Kein Wunder, dass den neurotischen Schützen- und Schürzenanwärter Max vor diesem Monstrum das blanke Zittern ankommt! Gezittert, getrippelt und seltsam hin und her gewackelt wird an diesem Abend ohnehin recht inflationär. Christopher Ventris ist mit seinem wagnergestählten Tenor als Max nicht falsch, aber für das kleine Zürcher Haus doch sehr schwer besetzt. Auch die anderen Sänger könnten sich gelegentlich daran erinnern, dass es sich bei diesem Stück eben nicht um Wagner, sondern um ein Werk der Frühromantik handelt. Gesungen wird fast durchweg zu laut, stellenweise grob und unter dem gewohnten Niveau des Opernhauses; erst im dritten Akt finden namentlich Ventris und Davidsen zu mehr Farben und Zwischentönen.
Der Herr Beelzebub
Dies verweist auf ein grundsätzliches Problem in der Interpretation des Dirigenten Marc Albrecht. Albrecht spornt die im Orchestergraben gefährlich weit nach oben gefahrene Philharmonia und den (völlig übertrieben kostümierten) Haus-Chor unablässig zu Höchstspannung an. Das Ergebnis tönt indes eher angespannt als differenziert, viele von Webers bahnbrechenden Instrumentationseinfällen, von denen Albrecht im Programmheft zu Recht schwärmt, bleiben unhörbar.
Ein Lichtblick der Produktion ist ausgerechnet jene Gestalt, die nicht singt und laut Libretto auch nur einen kurzen Auftritt hat. Wie vor ihm Peter Konwitschny und andere Regisseure erhebt Fritsch die Gestalt des Samiel zur heimlichen Hauptfigur. Der Schauspieler Florian Anderer, ebenfalls ein Volksbühnen-Gewächs, schleicht nicht so sehr als mephistophelischer Strippenzieher denn als zynischer Beobachter unablässig durch das Geschehen, gekleidet in ein hinreissendes rotes Teufelsgewand samt Dreispitz und schlüpfrigem Schwanz.
Mit seiner diabolischen Präsenz und zirkusreifen Flug- und Klettereinlagen quer durchs Bühnenbild stiehlt Anderer den beim Singen oft zur Bildsäule erstarrenden Sängern regelmässig die Schau. Einzig der trotz einer angesagten Indisposition souverän gestaltende Christof Fischesser als Bösewicht Kaspar vermag ihm darstellerisch ein wenig Paroli zu bieten. Irgendwann fallen freilich auch diesem agilen Herrn Beelzebub kein neuer Schabernack und keine Grimasse mehr ein – entnervt flüchtet er sich mit Höllenqualm und Dampf unter das wiederum überdimensionierte Hochzeitskleid Agathes. Zumindest die Braut hat am Ende gut lachen.