Mehr Kostümorgie als Deutung

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (20.09.2016)

Der Freischütz, 18.09.2016, Zürich

Carl Maria von Webers romantische Oper «Der Freischütz» zum Saisonauftakt am Opernhaus Zürich

Zum Schlussapplaus liess sich der Regisseur Herbert Fritsch im grünen Jägerkleid auf die Bühne tragen – so, wie der mit dem Teufel verbandelte Kaspar, der Widersacher des braven Mannes Max in dieser vielleicht romantischsten aller Opern, zuvor als Leiche von der Bühne weggetragen worden war. Es ist die letzte Zuckung der Premieren­aufführung der Oper «Der Freischütz» von Carl Maria von Weber, die prall gefüllt ist mit Slapstick-Gags und komischen Einfällen, wie man sie in diesem viel gespielten Bühnenwerk noch nie gesehen hat.

Da gibt es Jäger, die wie die sieben Zwerge von Schneewittchen gezeichnet sind (die fantastischen Kostüme schuf Victoria Behr), und Bauern, denen das Barthaar das Gesicht überwuchert. Der Fürst Ottokar ähnelt einem ethnisch nicht recht einzuordnenden Medizinmann, und es gibt Brautjungfern, denen ein ganzer Garten auf dem Kopf wächst.

Groteske Überzeichnung

Der Eremit, der das Ende des mörderischen Preisschiessens – wer trifft, gewinnt die Tochter des Erbförsters Kuno – verkündet, schwebt als Strohpuppe vom Schnürboden herab, während der rote Samiel mit seinem pfeilförmigen Schwanz über die Bühne zappelt wie eine mittelalter­liche Teufelsdarstellung. Und Agathe, die reine Braut? Sie ist von einem riesigen Reifrock umgeben, unter dem auch mal ein Mann Zuflucht findet wie Oskar Matzerath in der «Blechtrommel» von Grass.

Eine tollkühne Mannschaft hat Regisseur Fritsch da zusammengetrommelt, eine Figur komischer als die andere. Es ist weniger eine Inszenierung im herkömmlichen Sinne als ein gesungener Comicstrip mit Zügen einer grotesken Überzeichnung der Charaktere – und weit und breit keine Person, die nicht gnadenlos karikiert wäre. Das gilt selbst für Ännchen, die junge Verwandte Agathes: Sie illustriert mit spitzen Fingern, wie es sich anfühlt, wenn man «Maikäfer im Bauch» hat, sprich: so verliebt ist wie Agathe in ihren leider ballistisch erfolglosen Max.

Wer die letzte Zürcher Inszenierung von Herbert Fritsch gesehen hat – sie galt der Semi-Opera «King Arthur» von Henry Purcell –, wird im «Freischütz» einige bevorzugte Zeichen und Gesten dieses Regisseurs wiederfinden. So die Zeigefingersprache der Sängerin Mélissa Petit in der Rolle des Ännchen. Oder die Stolper- und Sturzaktionen des Samiel (Florian Anderer). Auch ein partout origineller Inszenator wie Fritsch kocht auch nur mit Wasser, und nicht jeder seiner Einfälle ist Gold wert. So bleibt gerade seine Darstellung von Agathe und Ännchen unentschieden und die Parodierung des Brautjung­fernchores konventionell. Was nichts daran ändert, dass Lise Davidsen die Partie der Agathe mit unerhört schöner Stimme und sauberem Legato darstellt.

Zwei Welten

Die Permanenz von Gags macht das Stück nicht kurzweiliger – es zieht sich hin. Wie aber steht es mit Max, der Titelfigur? Dieser glücklose Schütze wird von Christopher Ventris verkörpert, und dazu ist dem nimmermüden Gag-Kreator Fritsch nun wirklich nicht mehr eingefallen als eine schräge Frisur und eine tapsige Gangart. Ist Max (mit leicht waberndem, intonatorisch klar fokussiertem Tenor: Christopher Ventris) vielleicht der einzige Mensch in einer Population von Comicfiguren und beweglichen Abziehbildern?

Der Dirigent Marc Albrecht leitet die Produktion mit dem Philharmonia-­Orchester und dem glänzend aufge­stellten Chor des Opernhauses Zürich, die wie so oft schon in zwei unvereinbare Hälften zerfällt: Hier eine Ins­zenierung, die keinen Stein auf dem andern lässt und keine Gelegenheit zu Witz und Ironie auslässt, und da eine musikalische Darstellung, die man im besten Sinn werkgetreu nennen darf. Das Publikum kann sich von beidem nehmen, was es will.