Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (20.09.2016)
Wenn sich Herbert Fritsch im Zürcher Opernhaus den «Freischütz» vornimmt, dann gibts statt deutscher Romantik knallbunten Klamauk. Und nach der Premiere einen lautstarken Wettkampf zwischen Jublern und Buhrufern.
Er fühle sich selbst wie der Max im «Freischütz», hat Herbert Fritsch vor der Premiere gesagt. Denn so wie der Titelheld in Carl Maria von Webers Erfolgsoper nur einen einzigen Probeschuss zur Verfügung hat, um seine Braut zu gewinnen, so hat auch der Regisseur nur eine Chance, um sein Publikum zu kriegen. Keine einfache Sache – das illustriert Fritsch schon während der Ouvertüre, mit einer riesigen, bildschirmschonerartigen Zielscheibe, die sich vergrössert und verkleinert und irgendwann auch noch zu verschieben beginnt. Ein Teufelskerl, wer da ins Schwarze trifft.
Tatsächlich ist das nicht einfach bei diesem Stück. 2016 ist nicht 1821, die deutsche Romantik ist lange vorbei, die Jägerchörlein und Brautjungferngesänge bringen jeden Regisseur zur Verzweiflung. Und was soll man anfangen mit dem Teufel, bei dem Max sich Freikugeln besorgt? Was mit den blödsinnigen Regeln, nach denen in dieser Gesellschaft Ehen geschlossen werden? Oder mit dem Eremiten, der zuletzt als Deus ex Machina dafür sorgt, dass alles doch noch gut kommt?
Ein frecher Tritt der Musik
Fritsch tut, was er immer tut: Alles wegräumen, die Gewehre und die Ehrfurcht und auch die Aufführungstradition, die das Werk seit Jahren in seltener Einmütigkeit und Einfallslosigkeit im Dritten Reich ansiedelt, weil es da das Gruseln gratis gibt. Was bleibt, ist ein Spiel mit Bildern und Tönen, mit Märchenelementen und ihrer ironischen Brechung. Lustvoll, kindlich, manchmal auch ein bisschen blödelig packt Fritsch den Stoff an, als sei er selbst der Teufel Samiel, der sich hier als rotbestrumpfter Conferencier mit Doppelfederhut durch den Abend grinst und sich freut über all das, was er angestellt hat. Dass dieser Samiel (Florian Anderer) manchmal auch gegen die Wand knallt, gehört dazu, und es hält ihn ganz bestimmt nicht von weiteren Streichen ab.
Fritschs Streiche kennt man; zuletzt gesehen hat man sie im vergangenen Februar im Zürcher Opernhaus, in Händels «King Arthur». Aber während die Inszenierung der Musik dort ein Bein gestellt hat, verleiht sie ihr hier mit einem frechen Tritt einen Schwung, den sie lange nicht mehr hatte. Denn vieles in Webers «Freischütz» klingt ja schon fast wie eine Parodie für heutige Ohren, da darf man ruhig noch ein wenig weiter überdrehen.
Im Orchestergraben drehen der Dirigent Marc Albrecht und die Philharmonia Zürich gekonnt mit. Ausgehend von den Bässen bauen sie einen freien, kraftvollen, szenisch ungemein präsenten Klang auf. Da ist nichts Verklemmtes in der Jägermusik, man geniesst die Schauereffekte in der Wolfsschlucht und die Pointe in Ännchens Lied von der Base mit der kreidigen Nase. Nicht, dass das Orchester Fritschs Scherze verdoppeln würde: Webers Partitur wird ernst genommen und erhält so jene Unmittelbarkeit zurück, ohne die das Werk zum reinen Zitat gerinnt. Aber eben auch jene verspielte Frische, mit der die Regie etwas anzufangen weiss.
So sind auch die Protagonisten mehr als nur Prototypen. Kaspar etwa, der Max zu Samiel bringt und zumindest in dieser Aufführung weit unheimlicher wirkt als der Teufel selbst: Christof Fischesser gibt ihn als charismatischen Psychopathen, mit schnarrender Sprech- und gänsehautverursachender Singstimme und einer ganzen Reihe personifizierter Schatten. Kein Wunder, kommt Max nicht gegen ihn an, nicht im Stück und auch nicht auf dieser Bühne; Christopher Ventris’ vibratoreicher Tenor gerät in dieser lyrischen Partie rasch an seine Grenzen.
Welch schöne Stimme!
Seine Agathe dagegen, die kennt solche Grenzen nicht. «Welch schöne Nacht», singt sie, und man denkt: welch schöne Stimme! Sie gehört der jungen Norwegerin Lise Davidsen, die letztes Jahr zwei Wettbewerbe gewonnen hat und nun vor ihren Debüts an der Wiener Staatsoper, im Londoner Covent Garden und an weiteren illustren Adressen steht. Dass die Zürcher schneller waren, ist ein Glück fürs Publikum, wenn auch nicht für Max: Denn diese Agathe ist kein braves Bräutchen. Ihr Blumenzimmer ist ziemlich psychedelisch tapeziert, auch ihre Vertraute Ännchen (Mélissa Petit) dürfte ihre Erfahrungen mit allerlei Substanzen gemacht haben. Eine herrschsüchtige Zicke ist diese Agathe, und wenn sie ihre betörende Stimme fliessen lässt, so ist das nur ein weiterer Trick, mit dem sie Max unter der Knute hält.
Da zeigt sich dann auch, dass Herbert Fritsch durchaus nicht nur Klamauk und ironisierende Veräppelung im Sinn hat. Generationen von Regisseuren haben sich schwergetan mit dieser Agathe und dem Frauenbild, das sie repräsentiert. Er macht sie nun ganz ohne Krampf und Ideologie zur starken Figur – und lässt die anderen als das dastehen, was sie aus heutiger Sicht nun mal sind: verknöcherte Gesellen, die selbst dann noch auf ihre Regeln und Traditionen pochen, wenn sich diese längst erledigt haben.
Tattergreis mit Pfauenfedern
Auch Victoria Behrs hinreissend überkandidelte Kostüme erhalten da eine tiefere Bedeutung: Die riesigen Maschen und Blumenhüte, die grasgrünen Jägergewänder und die Gesichter überwuchernden Bärte sind die mit Stolz getragenen Insignien einer sehr seltsamen Gesellschaft, in der nur heiraten darf, wer beim Probeschuss trifft. In der die Männer (respektive der von Jürg Hämmerli vorbereitete Chor) herzhaft ihr «Jo ho! Trallalla!» schmettern, der strenge Fürst Ottokar (Oliver Widmer) eigentlich ein Tattergreis mit Pfauenfedern ist und der Eremit (Wenwei Zhang) als Strohbündel vom Himmel kommt.
Dass Agathe sich da mit dem Teufel verbündet: Wer wird es ihr verdenken. Und wenn der Vorhang sinkt und die Verärgerten gegen die Begeisterten anbrüllen, dann denkt man, dass Herbert Fritsch an diesem Abend zwar vielleicht nicht ins Schwarze getroffen hat – aber dafür ins Giftgrüne, Grellgelbe, Samielrote. Und dass das diesem Stück zwischendrin durchaus guttut.