Oliver Schneider, DrehPunktKultur (23.09.2016)
Das Opernhaus Zürich startet mit einer Neuinszenierung von Webers Freischütz in die Saison 2016/17. Regie führt Volksbühne-Zögling Herbert Fritsch, der das Werk komplett entromantisiert. Marc Albrecht trägt die Verantwortung für die musikalische Seite.
Durch den poppig-farbigen Lauf von Max‘ Gewehr schießt während der Ouvertüre die siebte Freikugel, um beim Probeschuss nicht die anvisierte Taube, sondern Agathe zu treffen. Das projiziert Herbert Fritsch – in Personalunion Regisseur, Bühnenbildner und Videoinstallateur – auf die Leinwand am Bühnenrand und irritiert damit nicht nur den Zuschauer, sondern auch die grell musizierende Philharmonia Zürich im Graben, die, wie es scheint, von den ständig wechselnden Farben regelrecht aus der Konzentration gebracht werden. Zum Glück ändert sich das im Laufe des Abends.
Auf der Bühne hingegen geht es bunt und vordergründig lustig weiter. Mit Slapstick, stark überzeichneten Personen, die auch genauso manieriert sprechen. Von Sozialkritik à la Ruth Berghaus im letzten Zürcher Freischütz ist Fritsch meilenweit entfernt. Er karikiert nur Max‘ Versagensängste und die konservative Gesellschaft, das Romantische blendet er komplett aus. „Theater lebt von der Verarschung“, meint Fritsch in einem Interview im Programmheft. „Verarscht“ kommt man sich als Zuschauer nicht vor, aber man fragt sich: Was bleibt mir von dem Abend außer bunten Bildern?
Es bleibt die Erinnerung an einen in sich szenisch stimmigen Abend, an dem alle Protagonisten auf der Bühne ihren Anteil haben und der – abgesehen von der Ouvertüre – mit der Musik eine Einheit bildet. Putzig anzusehen sind die Landleute in ihren altväterlichen, aber immerhin kunterbunten Trachten. Oder der schwarze Jäger Samiel, den Fritsch zu einem roten teuflischen Jäger mit langem Schwanz macht, der von Anfang an die Geschehnisse steuert (Florian Anderer). Kaspar bekommt gleich mehrere tanzende Doppelgänger, Fürst Ottokar ist ein Indianerhäuptling, während der weise Eremit im letzten Akt, der Max‘ Verbannung in ein Probejahr umwandelt, als Strohballen vom Himmel abgeseilt wird. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Deus ex Machina (Wenwei Zhang). Die von Max geliebte Agathe, Tochter des Erbförsters Kuno, die er mit dem Probeschuss für sich gewinnen will, wirkt in ihrem weißen Kleid mit rosafarbener Schleife wie ihre eigene Hochzeitstorte (Kostüme: Victoria Behr), während ihre Verwandte Ännchen viel von einer Punklady hat. Zu schauen und auch zu lachen, bis es einem im Halse stecken bleibt, gibt es einiges, aber Spannung will trotzdem nicht aufkommen, denn die Personen agieren zu wenig miteinander. Gerade das sollte ja die Stärke bei der Arbeit eines Schauspielregisseurs sein.
Und was macht Fritsch aus der Wolfsschluchtsszene, in der Kaspar und Max die sieben Freikugeln im finsteren Wald gießen? An den Wald erinnern in der Inszenierung ohnehin nur der große grüne Spielkreis auf der Bühne und das Gebäude in der Mitte, das mit seinem roten Dach und den grünen Wänden mal als Kirche, mal als Forsthaus von Kuno fungiert. Mit vertanzten Clownereien und Akrobatik zeigt Fritsch das Grauenvolle, wie Max dem roten Jäger Samiel seine Seele verkauft und Kaspar sein elendes Leben noch einmal verlängern kann. Spätestens seit Stephen King wissen wir, dass Clowns nicht nur lustig sind.
Marc Albrecht und die Zürcher Musikerinnen und Musiker legen den auf das Bühnengeschehen gut abgestimmten musikalischen Teppich. Sehr schön variierend in der Dynamik, in jedem Moment mitreißend und vital artikulierend. Auch nicht zu laut, denn vor allem Agathe und Max sind mit Christopher Ventris und Lise Davidsen großstimmig besetzt. Davidsens gaumige Stimme hat schon fast etwas Hochdramatisches, aber punkten kann sie in Zürich vor allem mit ihrem perfekt kontrolliertem Piano in ihrem „Wie nahte mir der Schlummer“ zu Beginn des zweiten Akts. Aus dem Ensemble besetzt sind die übrigen Protagonisten: Oliver Widmer als bewusst nicht ernst zu nehmender Fürst Ottokar, Pavel Daniluk als sonorer Kuno und Mélissa Petit als quirliges Ännchen. Voll im Ton und darstellerisch herausragend ist Christof Fischesser als dem Bösen schon verfallener Kasper. Keine schwarze Seele, sondern ein Jedermann, der vom falschen Weg abgekommen ist.