Joseph Auchter, Seniorweb (07.11.2016)
Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ suchte am Zürcher Opernhaus nach neuen Wegen und evozierte nichts als alte Fragen nach dem Wie und Wozu und warum nicht anders.
Wer sich an die Wegmarken des Opernrepertoires heranmacht - und die Lichtgestalt Mozart gehört auch mit seinem bekanntesten Singspiel unabdingbar dazu - muss sich Vergleiche gefallen lassen, Nostalgie hin oder her. In der Jubiläumsspielzeit 1984/85 zeichneten Jean-Pierre Ponnelle für Regie und Bühnenbild und Nikolaus Harnoncourt für die musikalische Leitung verantwortlich. Damals sang Matti Salminen den Muselmann Osmin, ja genau dieser grossartige Sängerdarsteller, der am 11. November im Opernhaus seinen Bühnenabschied gibt. Und der unvergessliche Wolfgang Reichmann brillierte in der Sprechrolle des Bassa Selim. Nicht schon wieder das Gespann Ponnelle/Harnoncourt, hör ich sagen, das ist Geschichte. Wenn Zürich szenisch und musikalisch glaubwürdige Alternativen anböte, gingen mir diese illustren Namen nicht mehr über die Lippen. Aber bei diesem Resultat muss bei allem Wohlwollen die Wehmut hochkommen.
Die jungen Wilden sind los
Das deutsche Regieteam David Hermann und Bettina Meyer glauben im MAG-Interview nicht so recht daran, dass die Oper das richtige Medium sei, um den aktuellen Kulturkonflikt „europäisch-christlich“ gegen „türkisch-islamisch“ aufzugreifen. Gott sei Dank, war man gewillt beizupflichten, und fragte sich dann handkehrum, weshalb der Chor (Frauen wie Männer) plötzlich in Ganzkörperschleiern das Restaurant bevölkern musste, nachdem er zuvor noch im westlich-bürgerlichen Outfit daselbst dinierte. Erst recht deplatziert wirkte dann leider die historisierende Einlage, wie der sonst durchs Band westlich gewandete Oberkellner Osmin plötzlich im Habitus eines blutrünstigen Osman mit Rauschebart, Krummschwert und geifernder Lefze den Liebespaaren das Fürchten lehren wollte. Warum dieses völlig unnötige, dümmliche Klischee aus grauer Vorzeit bemühen?
Die Sprechtexte gänzlich zu streichen, um die Entschlackung langfädiger Übergänge zu begünstigen, und dafür den die Eifersucht zwischen Konstanze und Belmonte schürenden Bassa Selim als reinen Mimen auftreten zu lassen, führt leider dazu, dass ein dramaturgisches Bindeglied fehlt. Die Idee, die Pausen dann durch eine Art Donnergrollen und bedrohliches Gesäusel zu füllen, konnte nicht überzeugen. Interessant war aber zweifellos die Verschränkung der beiden Liebespaare Konstanze/Belmonte und Blonde/Pedrillo zu äusserlich identischen Alter Egos, die das Verwirrspiel auf die Spitze trieben. Dieser Kunstgriff kam Mozarts Intention sehr zustatten.
Sonst halt das alte Lied: Das unablässige Einrennen von versperrten Türen, die Drehbühne ins triste Schlafgemach und in ein erbärmlich fahles Restaurant, in das eine Illusionsbühne eingelassen ist. Wer sich noch an das Juwel der rekonstruierten Kronenhalle aus „Ariadne auf Naxos“ erinnert, wird sich fragen, ob Einfallslosigkeit in dieser Aufmachung noch zu steigern ist.
Der Wagemut, ganz auf den Nachwuchs zu setzen
Eigentlich sollte Teodor Currentzis, der jüngst in Verdis „Macbeth“ aufhorchen liess und sich in international steilem Höhenflug befindet, die Produktion musikalisch betreuen. Er sagte krankheitshalber ab, was insofern erstaunt, als er die nächsten Tage mehrfach in Dortmund dirigiert und sich weltweiter Anfragen kaum zu erwehren weiss. Nun stand sein Adlatus, der blutjunge russische Cembalist und Dirigent Maxim Emelyanychev am Pult und liess es krachen, dass es für die einen eine Freude war, für empfindlichere Ohren aber eine Gratwanderung. Tempomässig auf die Tube drücken genügt nicht bei Mozart, seine Musik muss pulsieren, beseelt atmen und zu verhaltenem Leuchten aufblühen. Die Formation La Scintilla hat genug bewiesen, dass sie das aus dem Stegreif kann, aber unter dem Jungspund verkamen diese Valeurs leider oft zu matt-blasser Routine.
Treue, Eifersucht und Paranoia im "Serail"
Höchste Erwartungen erfüllt hat Olga Peretyatko als Konstanze, eine Überraschung konnte das aber nicht mehr sein nach den Elogen, die sie weltweit einheimste. Weshalb man ihr aber nicht z.B. Mauro Peter, den Mozartstar aus dem eigenen Ensemble, als Belmonte an die Seite stellte, ist mir ein Rätsel. Die Tenöre Pavol Breslik (Belmonte) und Michael Laurenz (Pedrillo) sind Mehrspartensänger, die ein vielseitiges Repertoire pflegen und eigentlich nie enttäuschen, aber auch nie wirklich entzücken. Weltklasse hier, Genügsamkeit dort ist etwas gar anspruchslos. Dass die hoffnungsvolle Claire de Sévigné aus dem Internationalen Opernstudio aber bereits die Blonde singen darf und die Chance bravourös packt, zeigt, auf welchem Niveau hier in Zürich mit dem Nachwuchs gearbeitet wird. Nicht zu vergessen die rabenschwarze Stimme des Argentiniers Nahuel Di Pierro als Berserker Osmin und den Mimen Sam Louwyck als stummer Störefried Bassa Selim.