Sigfried Schibli, Basler Zeitung (24.10.2016)
Nach langen Jahren der Absenz findet Giuseppe Verdis «Macht des Schicksals» zurück auf die Basler Opernbühne
Verdis Oper «La Forza del Destino» hat zwei Schlüsse, den der Urfassung und den der vom Komponisten überarbeiteten Version. In der ersten stirbt der Inka-Abkömmling Don Alvaro, der vergeblich um die Hand der Tochter des Marchese von Calatrava angehalten hat, durch Selbstmord, sodass am Ende drei Tote auf der Bühne liegen: Alvaro, seine Leonora und ihr rachsüchtiger Bruder Don Carlo. Deren Vater, der Marchese, wurde schon in der ersten Szene durch einen Schuss ins Jenseits befördert, der sich aus Alvaros Pistole löste.
Weil ihm das offenbar zu viel Blutvergiessen war, hat Verdi den tragischen Helden Alvaro am Ende doch überleben lassen. In der Basler Aufführung der Oper bekommt man es mit einer dritten Schlussversion zu tun: Leonora bricht im Leid über ihr verkorkstes Schicksal tot zusammen, Don Carlo wird nach einem Zweikampf mit Alvaro hinter den Kulissen tot hereingeschleppt, Alvaro bleibt blutüberströmt, aber lebend zurück. Laut lachend nimmt er zur Kenntnis, dass der Prior des Klosters, das ihn und seine Braut versteckt hat, von des Himmels Gnade faselt – das Lachen eines Menschen, der vor Verzweiflung dem Wahnsinn nahe ist.
Wenn der deutsche Regisseur Sebastian Baumgarten das Sagen hat, ist eben manches anders, als es im Opernführer steht. Schon die Schlüsselszene mit dem Tod des Marchese verblüfft: Da wirft Alvaro die Pistole, mit welcher er den Marchese bedrohte, nicht auf den Boden; er behält sie in der Hand, der Marchese greift danach, und man weiss nicht, wer den Finger am Abzug hatte. Das ist noch die geringste Veränderung, die diese leicht gekürzte Unglücksoper aus den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts hier erfährt. Die Handlung ist in die Gegenwart nach Amerika verlegt, aus der Schenke im spanischen Dorf Hornachuelos ist eine «Playmate Ranch» geworden, das Kloster ist ein «God Lighthouse». Die Kulturen überlagern sich, Eingeborene mit Federschmuck auf den Köpfen wackeln mit den Hinterteilen, und im Hintergrund werden archaische Skulpturen von Männern mit grossen Penissen sichtbar. Multikulti eben.
Starker Hang zur Ironisierung
Regisseur Baumgarten hat, unterstützt vom Videokünstler Chris Kondek und der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes, ein kunterbuntes, Elemente der Popkultur zitierendes drehbares Spielhaus für die «Macht des Schicksals» geschaffen. Das flimmert und glitzert, blitzt und blendet, alttestamentarisch strenge Texte («Es muss das Wort erfüllt werden?…») und mahnende Zeigefinger flirren über die Bühne. Wenn die geistliche Macht auftritt, darf es auch mal sakralkitschig werden. Die Klosterbrüder schlurfen mit Kapuzen und Leuchtstäben über die Bühne, Leonora packt eine batteriebetriebene Marienstatue mit grünem Heiligenschein aus ihrer Tasche, und der Prior setzt sich eigenhändig an die elektronische Orgel.
Wer da einen starken Hang zur Ironisierung vermutet, liegt nicht falsch. Dem Regieteam ist das Kunststück gelungen, einigen Witz in die düstere Verdi-Oper einzuschleusen, ohne ihren tragischen Kern zu verletzen. Die Geschichte wird textgetreu erzählt, aber wir dürfen immer wieder schmunzeln. Etwa, wenn Don Carlo seine Kampfwunde mit dem Alkohol desinfiziert, den er seinem stets mitgeführten Flachmann entnimmt. Oder, wenn ein Chirurg Alvaro eine Gewehrkugel aus dem Körper entnimmt und sie wie eine Trophäe vorzeigt. Oder, wenn im vierten Akt die Armen gespeist werden und sich die Helfer die Nase zuhalten, weil Körperhygiene halt an Wohlstand gebunden ist.
Genauigkeit und Stimmkultur
Am Theater Basel singt ein aus aller Welt zusammengekauftes Sängerensemble mit wenigen Lokalgrössen: Andrew Murphy als komödiantischer Mönch Fra Melitone, der auch mal leere Flaschen einsammelt, und Karl-Heinz Brandt als langmähniger Trödler Trabuco. In den Hauptrollen sorgen lauter Gäste für musikalische Glanzlichter. Allen voran die Sopranistin Elena Stikhina, die mit grosser Disziplin und Genauigkeit bis in die Spitzentöne, aber auch mit schönem «Messa di voce» die Leonora verkörpert. Schauspielerisch etwas ungelenk, stimmlich kraftvoll und meist intonationssicher singt der Venezolaner Aquiles Machado den Don Alvaro. Vladislav Sulimsky ist mit untrüglichem Bariton und schauspielerischem Geschick der Gegenspieler Alvaros, Don Carlo. Evgeny Stavinsky singt mit ebenmässig geführtem Bass den Padre Guardiano, während die Sopranistin Anaïk Morel höhensicher und schwindelfrei die Zigeunerin Preziosilla darstellt – eine musikalische Schwester von Bizets Carmen.
Ihr kriegsbegeistertes «Rataplan» zum Ende des dritten Aktes mit dem Theaterchor (samt Extrachor), den noch einmal der bald in Pension gehende Henryk Polus einstudiert hat, wird zu einem Glanzpunkt des Abends. Im Graben spielt das Sinfonieorchester Basel unter dem lettischen Dirigenten Ainars Rubikis, der sich auf gute Soli (Klarinette, Violine) und starke Blechbläser verlassen kann, aber noch nicht alle Ensembles im Griff hat.