Ein flottes Leiterspiel

Daniel Allenbach, Der Bund (28.11.2016)

Le Nozze di Figaro, 26.11.2016, Bern

Es war zwar erst der erste Advent – doch bei Konzert Theater Bern wird die Weihnachtsbescherung dieses Jahr vorgezogen. Mit einem glänzend renovierten Grossen Haus. Und mit Mozarts «Nozze di Figaro» als beschwingter Premiere zur Wiedereröffnung.

Mozarts Oper «Le nozze di Figaro» erfordert mit ihren dreieinhalb Stunden Spielzeit durchaus ein wenig Sitzleder – und bequeme Sitzgelegenheiten sind der Sache durchaus förderlich. Letztere, neu eingebaut in der jetzt abgeschlossenen Bauphase im Berner Stadttheater («Bund» vom Mittwoch), haben den Praxistest ohne Frage bestanden. Wie schon Stadtpräsident Tschäppät in seiner kurzen Ansprache launisch anmerkt, sind sie nicht zu weich und auch nicht zu hart und selbst bei eigentlich gegenteiligen (finanziellen) Interessen der Geschäftsleitung auch in Sachen Beinfreiheit weit grosszügiger als bisher. Da fällt es – trotz Ablenkung durch das schön renovierte Stadttheater und nach einer ganzen Reihe von Eröffnungs- und Dankesworten der Vertreter des Hauses und der Geldgeber von Stadt und Burgergemeinde über die Region bis hin zum Kanton – nicht schwer, sich auf den Opernabend zu konzentrieren.

Nachdem auch symbolisch die letzte Bauabschrankung entfernt ist, hebt wendig und agil die Ouvertüre an. Wobei die Inszenierung von Markus Bothe die Fertigstellung in letzter Minute gleich ironisch in die Eröffnungssequenz einbaut, muss doch der Boden des Bühnenbilds erst noch abgesichert und zusammengebaut werden. Leitern und Falltüren prägen die beiden schlichten, aufeinandergestapelten und mittels der Bühnenmaschinerie nach oben beziehungsweise unten gefahrenen Räume von Kathrin Frosch.

Dabei sind die Ebenen in diesem Leiterspiel grundsätzlich klar verteilt. Das Dienerpaar Figaro und Susanna hat den kahlen Raum unten zugewiesen erhalten, während oben, mit nobel zurückhaltenden Verzierungen und einem prächtigen Kostümpark ( Justina Klimczyk), das gräfliche Paar residiert. Selbstverständlich geraten aber die Ebenen – wie es Mozarts Oper angelegt ist – gehörig durcheinander. Dafür sorgen die Schürzenjägerqualitäten des Grafen ebenso wie die zwischen diesen Schichten agierenden Nebenfiguren.

Vermittelndes Orchester

Wichtigste Vermittler allerdings sind das von Kevin John Edusei geleitete Berner Symphonieorchester sowie Sonja Lohmiller am Hammerklavier, die die beiden Welten musikalisch zusammenbringen. Was die akustischen Massnahmen beim Umbau angeht, ist es zwar schwer, sie objektiv zu werten – hatte doch bereits zuvor jeder Platz seine klanglichen Vorund Nachteile. Sowohl Bühne als auch Orchester klingen jedoch angenehm präsent und durchhörbar, wobei im ersten Rang stellenweise der halb nach oben gefahrene Graben leicht dominiert. Jedenfalls aber grundieren die Musikerinnen und Musiker den Abend mit Schwung und voller Farben und sorgen als Taktgeber für einen dichten und mitreissenden Verlauf.

Schliesslich ist es, um es mit dem Untertitel der zugrunde liegenden Schauspielvorlage von Beaumarchais zu sagen, ein wahrhaft toller (oder weniger missverständlich: verrückter) Tag, den die fast gänzlich aus dem Ensemble von Konzert Theater Bern besetzten Protagonisten hier erleben. Was sicher schien, wird infrage gestellt, ganz zu schweigen von den Abgründen, die sich im Blick auf die Zukunft öffnen.

Leid tun kann einem insbesondere die Gräfin (Sophie Gordeladze), die um einen zielführenden Umgang mit ihrem notorisch untreuen, aber umso eifersüchtigeren Gatten ringt – und dabei dann doch nicht vor einem Schäferstündchen mit dem liebestollen Jüngling Cherubino (Eleonora Vacchi) zurückschreckt. Aber auch der Diener Figaro ist nicht zu beneiden: Aufgrund alter Schulden zweier aufgetakelter Herrschaften (Claude Eichenberger, Stephen Owen) bedrängt – die sich letztlich zur Erleichterung (fast) aller als seine Eltern herausstellen –, muss er gleichzeitig fürchten, seine Braut an den Brotherrn zu verlieren. Jordan Shanahan findet grundsätzlich den richtigen Ton für diesen Titelhelden, tendiert allerdings zu ärgerlichem Schleppen.

Differenzierte Charaktere

Umso frischer agiert Oriane Pons als clevere Susanna mit gesanglicher Souplesse und szenischer Verve – ob sie nun ihrem Verlobten Figaro auf die Sprünge helfen muss, mit der Gräfin Pläne ausheckt oder sich gegen den aufdringlichen Grafen und seinen Boten Basilio (Andries Cloete) zur Wehr setzt. Nicht nur mit ihr zeichnet Regisseur Markus Bothe («Kleiner Bund» vom Donnerstag) klare und differenzierte Charaktere, die glaubwürdig über die Rampe kommen. Das gilt auch für den Grafen von Todd Boyce, der einerseits jedem Rockzipfel hinterherläuft, andererseits aber peinlich berührt versuchen muss, den Schein zu wahren, wenn er wieder einmal von Klammeräffchen Barbarina (Daniela Ruth Stoll) angesprungen wird.

Nach vielen Verwicklungen kommt es jedenfalls doch noch zur Hochzeit von Figaro und seiner Susanna. Die grellen Luftschlangen zum Fest wirken nach den beigefarbenen Wänden und den Kostümen in Pastell zunächst wie ein Fremdkörper. Doch wie sich dann die Figuren im Schlussakt in diesem dichten Wald an Bändern verlieren und Letztere schliesslich als vielfarbiger Abfall liegen bleiben, findet die Oper ein überzeugendes weil zwiespältiges Ende: Die Entscheidung, wieder zum Feiermodus zurückzukehren, vermag das Vergangene keineswegs zu übertünchen, die Zukunft bleibt in der Schwebe.