Herausgeputzt

Oliver Meier, Berner Zeitung (28.11.2016)

Le Nozze di Figaro, 26.11.2016, Bern

Zum Aufbruch aufgefrischt – oder zu Tode renoviert? Was die Sanierung des Stadttheaters und die Wiedereröffnung mit Mozarts «Le nozze di Figaro» über die Bundesstadt aussagt, wo fast 120 Millionen Franken in heilige Hallen der Hochkultur verbaut werden.

Bern hat gewählt. Am Samstag strömten sie in das wiedereröffnete Stadttheater: Abonnentinnen und Abonnenten, dazu Halb- und Ganzprominente aus Kultur, Wirtschaft und Politik, darunter Gemeinderatskandidaten auf finalem Stimmenfang. «Sie sehen zauberhaft aus!», rief Intendant Stephan Märki als Charmeur vom Dienst dem Publikum entgegen. Es war der Auftakt zu einem langen Redenreigen. Rhetorisch am meisten glänzte der abtretende Stadtpräsident Alexander Tschäppät mit einer gewitzten Abhandlung über die Kunst des Sitzens. So blendend herausgeputzt zeigte sich Bern schon länger nicht mehr. Ist das ein gutes Zeichen?

Bern hat gewählt. Ein Theater, von dem jetzt gesagt wird, es erstrahle in «neuem» Glanz. Es hat, nüchtern betrachtet, von manchem ein wenig zu viel: Das Gold wirkt noch goldiger, der Pomp noch pompiger. Vom Toilettenspiegel bis zur Foyertheke ruft das Interieur: Schau mich an, ich bin elegant und hochwertig! Es gibt Farbkollisionen, es gibt Stilbrüche, als ob sich mehrere Architekten babylonisch verwirklicht hätten – und die Blackbox Denkmalpflege dazu. Erstaunlich ist das nicht. Das Stadttheater ist ein stuckgewordenes Mahnmal der Berner Kompromisskultur.

Von manchem ein wenig zu viel: Das gilt auch für die Produktion, die zur Wiedereröffnung gegeben wird: Mozarts «Le nozze di Figaro» als Spiegel der Rokoko-Herrlichkeit im sanierten Haus. Regisseur Markus Bothe ist ein sicherer Wert, genauso wie das Mozart-Werk. In Bern hat er «Rusalka» und «Das schlaue Füchslein» inszeniert, mit klugen, vitalen Produktionen. Ungebrochene Aufhübschungen sind seine Sache nicht. Umso mehr wundert man sich über das Kostümfest, das er nun veranstaltet. Bothe fokussiert weniger auf den Geschlechterkampf als auf die sozialpsychologische Dimension des Stücks, lässt die Schichten aufeinanderprallen, erzählt von Aufstiegsträumen und Abstiegsängsten, von der Furcht vor dem Neuen und dem Festhalten am Alten – ein durchaus bernisches Thema.

Diese Inszenierung zeugt vom Zwang der Theaterleitung zum Kassenschlager. Mutig ist anders. Aufregend auch. Und musikalisch bleiben zwiespältige Eindrücke zurück. Das Orchester entfaltet unter Kevin John Edusei eine unübliche Leuchtkraft, die durch den akustisch aufgewerteten Theaterraum begünstigt wird. Dennoch zündet die Musik nur zeitweise. Das mag auch an den Tempi liegen. Vor allem aber an der mangelhaften Verzahnung von Graben und Bühne, wo das Ensemble, verstärkt mit neuen, jungen Kräften, sein Bestes gibt. Gespielt und gesungen wird des Öftern zu laut dafür, die doppelbödige Leichtigkeit von Mozarts Musik zu transportieren.

Als der (neue!) Vorhang fällt, gibt es langen Applaus und Bravorufe. Ob sie auch dem sanierten Stadttheater gelten? Wohl kaum. Nur beim Redenreigen zu Beginn des Abends sind Superlative zu hören. Ansonsten scheint man sich in der mittleren (Un-)Zufriedenheit eingerichtet zu haben. Gut bernisch wird so getan, als ob die Sanierung in dieser Form ein Schicksalsakt gewesen wäre. Nur angedeutet werden Fragen, die Gewicht haben: Wie viel märchenhafte Grossbürgerlichkeit verträgt es, wenn man dem Legitimationsdruck standhalten will, dem die Hochkultur zunehmend ausgesetzt ist? Wie verhält sich die architektonische Botschaft zur Erwartung der Geldgeber, dass der grösste Kulturbetrieb des Kantons Schwellenängste abbaut und ein möglichst breites, auch junges Publikum anspricht, ja die Hochkultur insgesamt demokratisiert?

Man hätte die Debatte führen müssen, vor Jahren, als die Frage der Sanierung zum Politikum wurde. Aber eine wirkliche Diskussion darüber gab es nicht. «Eigentlich müsste Bern den Mut haben, das Gebäude entweder auszukernen und ein Warenhaus darin unterzubringen, oder es abzureissen und ein neues Theater zu bauen»: Das sagte Schauspielchef Erich Sidler 2012 in dieser Zeitung, als er die Stadt verliess. Es war ein Ruf in die Leere. Eine Neubaustudie gab es, aber sie blieb unter Verschluss. Alternativen zum Facelifting des denkmalgeschützten Gebäudes standen nie ernsthaft zur Diskussion. Es ist die Berner Krankheit: Grosse Würfe haben es schwer.

Nun hat Bern das Stadttheater, das es verdient – und das faktisch ein Opernhaus ist. Einiges wurde in den vergangenen Jahren versucht, um das Schauspiel in das Grosse Haus zurückholen. Wirklich gelungen ist es nicht. Und die Theaterleitung macht nicht den Eindruck, als ob sie wirklich daran glauben würde. Man kann das verstehen: Schauspiel im Stuckaturenambiente ist schwieriger zu vermitteln als Stuckaturenoper. Vor allem, wenn es der Gegenwart und den Innovationen verpflichtet ist.

Über 120 Millionen fliessen in Bern in die Renovation der klassischen Kulturstätten. 43 Millionen Franken hat die öffentliche Hand in die Sanierung des Theaters gesteckt, weitere 5 Millionen steuern die Burger bei. Die Burger, die daran sind, ein noch grösseres Projekt zu stemmen: Für 74 Millionen Franken wollen sie das Kultur-Casino sanieren, öffnen und wirtschaftlich zum Erfolg führen. Es ist ein Risikoprojekt, das Fragen offenlässt. Eine davon lautet: Kann man Schwellenängste reduzieren, indem man die heiligen Hallen der Hochkultur hochrüstet? Berns beste Kulturvermittlerin Barbara Balba Weber sagte jüngst: «Man kann Sinfoniekonzerte in einem höfisch anmutenden Hochglanzgebäude anbieten. Aber dann muss man auch dazu stehen, dass man nur eine bestimmte Gesellschaftsgruppe erreichen will, die genau weiss, wie man sich für ein solches Konzert anzieht und wie man sich dort verhalten muss.» Anders gesagt: Man kann Kulturhäuser auch zu Tode renovieren.