Anna Kardos, Mittelland-Zeitung (24.01.2017)
Andreas Homoki inszeniert die Barocktragödie «Médée» als Feuerwerk und Farce
Es wird viel gewinkt an diesem Abend. König Kreon tut es mit jovialer Herablassung, Amor mit seinem goldglitzernden Stab, Aussenseiterin Médée mit hieroglyphischer Handhaltung – und Regisseur Andreas Homoki auch mal mit dem Zaunpfahl. Kein Wunder. Denn gespielt wird Médée, eine «tragédie lyrique» von Barockkomponist Marc-Antoine Charpentier (1643–1704). Und die hat es in sich. Hier prallt lyrischer Erzählton knallhart auf blutiges Gemetzel der Handlung; pure Schönheit der Musik auf Köpfe-Rollen rechts und links. Etwas Zaunpfahl-Gewinke tut also not, um die Fallhöhen zu sortieren und die Geschichte von Médée zu erzählen.
Es ist die Geschichte einer Frau, die bedingungslos liebt, betrogen wird und blutige Rache nimmt. Aus dem fernen Kolchis stammt sie und verliebte sich in den Griechen Jason. Ihm zuliebe ermordete sie den eigenen Bruder, stahl das Goldene Vlies, die gesamte griechische Halbinsel trachtet nun nach ihrem Leben. Sie findet mit Jason Asyl in Korinth. Doch während dieser dem König – und noch um einiges mehr dessen Tochter Créuse – bei den korinthischen Gepflogenheiten Polosport und Galadiner näher kommt, geben Hofstaat und Herrscher Médée unmissverständlich zu verstehen, was sie von ihr halten. Abschaum ist dabei nur das Vorwort.
Verfremdung bis zur Farce
Darf man das? Man darf nicht – zumindest darf man es nicht unhinterfragt inszenieren, in der heutigen Zeit, wo Menschen zu Millionen auf der Flucht sind. Also verfremdet Regisseur Andreas Homoki lustvoll bis hin zur Farce (mit der nicht alle Darsteller warm werden). Und er verlegt die Handlung in die Zeit von Martin Luther King und Mahatma Gandhi, als Rassismus in den Häusern weiter verbreitet war als heute das WLAN, und es in ebendiesen Häusern zum gehobenen Inventar gehörte, sich einen Neger zu halten. Diese Neger lässt Homoki nun als Klischee über die Bühne wippen: mit geschwärztem Gesicht, Krisselperücke und grossem Popo.
Aber auch seine Médée ist Mama Africa. In ihrem leuchtend roten Ethnogewand steht sie da, Rastas und Körperbemalung inklusive. Die grossartige Kostümbildnerin Mechthild Seipel durfte sich austoben – und wird es im Lauf des Abends noch weitere Male dürfen.
Denn die Kostüme gehören zum Grossartigsten, was einem auf der Opernhausbühne in letzter Zeit begegnet ist. Auch sonst lebt der Abend überraschend von jenen Kategorien, die traditionell auf die Nebenränge verbannt werden. Neben den Kostümen sind das: Chor und Casting. Denn der Chor scheint für einmal geradezu die Aufführung zu schmeissen. So viel Energie, so viel Individualität und so viel sängerische Qualität entfacht auf der Bühne ein richtiggehendes Feuerwerk. Und die Hauptrollen? Die sind dem Ensemble wie auf den Leib geschneidert.
Sängerin Mélissa Petit formt den wunderschönen Sopran der ebenso wunderschönen Prinzessin Créuse mit Grosszügigkeit und schnippischen Hüpfern in der Stimme, während ihr Geliebter Jason (Reinoud Van Mechelen) beinahe zu viel Vorsicht walten lässt – als gälte es nicht nur für seine Figur, keine falsche Bewegung zu machen. Dafür gibt Nahuel di Pierro seinen König Créon mit so inbrünstigem Bass und umwerfender Bühnenpräsenz, dass er sich glatt zum männlichen Protagonisten der abendfüllenden Tragödie mausert.
Urgewaltige Médée
Diese dreht sich von Anfang bis Ende um Médée. Stéphanie d’Oustrac verkörpert ihre Titelrolle mehr, als dass sie sie spielt. Allein, wie sie aus der Hüfte heraus über die Bühne tigert, erregt die gepudert-behandschuhten Gemüter der korinthischen Gesellschaft bis in die ondulierten Haarspitzen. Auch sonst verbreitet Médée eine Aura als Urgewalt – eine, die sich ebenso in Stéphanie d’Oustracs Stimme äussert, wenn sie auf ihren Schultern – oder vielmehr Stimmbändern – den gesamten Abend trägt. Unterstützt wird sie dabei vom Barockorchester La Scintilla, Musikern von Les Arts Florissants und allen voran von Dirigent William Christie, der die Musik mal mit schillernden Instrumenten führt, doch öfter noch mit so wenig Arpeggien, innig gesungen und unter Aussparung des Cembalos, als wolle er daran erinnern, dass es ganz einfach Menschen aus Fleisch und Blut sind, um die sich das ganze Treiben auf der Bühne dreht.