Wer ist hier der Verführer?

Tobias Gerber, Neue Zürcher Zeitung (30.01.2017)

Don Giovanni, 27.01.2017, Basel

Eine Welt voller Coolness und Routine entwirft der britische Regisseur Richard Jones als Einstieg in seine Basler Inszenierung der «Oper aller Opern». Deren Titelheld ist mehr Sammler als Jäger und pflückt, was ihm fast automatisch zufällt.

Von erotischer Eroberung will der Kerl nichts wissen. Augenkontakt genügt, um den Willen der jeweils Anvisierten zu beugen. Und so verschwindet ohne Ausnahme jede der während der Ouvertüre über die Bühne defilierenden Damen für ein kurzes Stelldichein mit dem Libertin hinter einer der Türen, die ihnen der Diener Leporello diskret aufhält . . .

Eine Welt voller Coolness und Routine entwirft der britische Regisseur Richard Jones als Einstieg in seine Basler Inszenierung der «Oper aller Opern». Deren Titelheld ist mehr Sammler als Jäger und pflückt, was ihm fast automatisch zufällt. Dabei scheint er vor allem auf Vollständigkeit bedacht zu sein: Jede will er erobert haben. Und wenn denn einmal ein männliches Wesen vorbeiziehen sollte, so verschwindet auch dieses mit ihm für eine kurze Begegnung hinter geschlossenen Türen.

Doppeldeutigkeiten

Doch hinter der auf der Vorderbühne inszenierten Vordergründigkeit öffnet sich bald eine gesellschaftliche Dimension, auf die der Blick durch zwei sich seitlich fortbewegende Wände im Bühnenbild von Paul Steinberg fällt. Sex bleibt hier nicht blosse Triebabfuhr, sondern wird zum Spiel von Leidenschaften, Abhängigkeiten und moralischen Leitplanken. Die Doppeldeutigkeit, die schon in Da Pontes Libretto Donna Annas Festhalten des Eindringlings Don Giovanni in der ersten Szene kennzeichnet, spitzt Jones zu, indem er das Zusammentreffen der beiden als sexualisiertes Spiel um Begehren, Macht und Gewalt in Szene setzt.

Das Messer, das kurz darauf zur Mordwaffe wird, ist hier noch ambivalentes Spielzeug in einer sadomasochistisch gefärbten Balz, genauso wie die Sturmhaube auf dem Kopf Don Giovannis. Derweil kniet im Nebenzimmer ein leichtbekleidetes Mädchen vor dem erregten Vater Annas, der am Ende dem Titelhelden vergeblich Reue über dessen Ausschweifungen abverlangen wird.

Klug und facettenreich ist das Basler Ensemble besetzt. Neben Kiandra Howarth, die als Donna Anna mit leicht abgedunkeltem Sopran ihre Gefühlslage zwischen Trauer und verborgener Leidenschaft in der Schwebe hält, sticht Anna Rajah als von Rachegefühlen getriebene Donna Elvira furios hervor. Vor allem im zweiten Akt gibt sie musikalisch auch ihrer Zuneigung zum Titelhelden intensiven Ausdruck. Sensibel zeichnen Nicholas Crawley und Maren Favela das Paar Masetto und Zerlina, deren Zuneigung zueinander wiederholt schwankt und dabei auch musikalisch fein schillert. Dazu gesellt sich das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des neuen Musikchefs Erik Nielsen – mit klar gesetzten Tempi und transparentem Klang.

Identitätstausch

Das dramaturgische Zentrum nimmt indes das Gespann Don Giovanni und Leporello ein. Die Szene zu Beginn des zweiten Aktes, in der die beiden Figuren ihre Mäntel tauschen, antizipiert Jones zu Beginn, indem er beide in die gleichen Anzüge kleidet. Dabei markiert der stumme Doppelgänger Leporellos, der als männliche Eroberung Don Giovannis am Anfang des Abends für Schmunzeln sorgte, dass es der Regie hier nicht bloss um ein Spiel mit Kleidung und Verkleidung geht. Vielmehr unterminiert Jones die Identitäten von Herr und Diener grundlegend, was am Ende sogar für einen völlig unerwarteten Dreh sorgen wird.

Souverän jonglieren Riccardo Fassi als Don Giovanni und Biagio Pizzuti als Leporello mit ihren Rollen und Rollenwechseln: Optisch gewitzt einander angeglichen, konturieren sie ihre Charaktere gesanglich mit deutlich unterschiedenem Temperament, schlüpfen aber im nächsten Augenblick ebenso agil in die Partie des jeweils anderen.