Reinmar Wagner, Südostschweiz (30.01.2017)
Richard Jones zeichnet in Basel Mozarts Titelhelden in der Oper «Don Giovanni» als gewissenlos berechnenden Frauenhelden. Bei der Premiere am Freitag überzeugte das junge Sängerensemble auf allen Positionen.
Die hübscheste Pointe hat sich die Inszenierung von Richard Jones für das Ende aufgespart: Zwar ergreift der Frauenheld Don Giovanni die eiskalte Hand seines unheimlichen steinernen Gastes noch, spürt die unterweltliche Macht, aber dann packt er kurz entschlossen seinen Diener Leporello, drückt ihm die eisige Pranke des Komturs in die Hand, und während Leporello mit dem Geist in die Unterwelt versinkt, schnappt er sich noch schnell die Perücke des Dieners und singt als Leporello das finale Sextett zu Ende.
Es gab auch schon Inszenierungen von Mozarts «Don Giovanni», die dem Titelhelden entgegen der Story ein Happy End gönnten, aber so radikal hat das wohl noch kein Regisseur auf die Bühne gebracht. Und es passt zu diesem kaltschnäuzigen Don Giovanni von Richard Jones. Keinen Funken Sympathie legt er in diese Figur hinein. Der Mann geht buchstäblich über Leichen, sein Egoismus ist grenzenlos, seine Brutalität kennt kein Mitleid, alle um ihn herum werden manipuliert, ausgenutzt und weggeworfen, wenn sie nicht mehr nützlich sind.
Unwiderstehlicher Herzensbrecher
Und doch liegen sie ihm alle zu Füssen, die Frauen, vor allem. Schon die Eingangsszene, die uns Jones zur Ouvertüre zeigt, erzählt von seiner unwiderstehlichen erotischen Anziehungskraft: Er steht bloss da, jede die vorbei geht, verfällt ihm augenblicklich – wenn da nicht Übernatürliches im Spiel ist! Oder, was besser zu diesem hedonistischen Herzensbrecher passen würde: Moderne Chemie, Pheromene, die neusten Errungenschaften der Deodorant-Forschung. Nun gut, irgendwie muss der junge Mann ja auf die 2066 Frauen gekommen sein, die Leporello in seiner Register-Arie auflistet. Bei Jones darf es durchaus auch mal ein Mann sein. Nur haben wir keineswegs den Eindruck, dass Don Giovanni dieses erotische Schlaraffenland geniesst. Es sieht eher wie Pflichtübung aus, wie die Erfüllung einer sportlichen Herausforderung.
So weit die Eckpunkte einer Inszenierung, die das Theater Basel als Koproduktion mit der English National Opera realisiert hat. Dazwischen wird sie ein wenig mittelmässiger, die Arbeit von Richard Jones. Es ist ein wenig paradox: Obwohl sehr viel Bewegung auf der Bühne herrscht, obwohl zusätzliches Personal eingefügt wurde und obwohl im Bühnenbild von Paul Steinberg die fahrbaren Wände mit ihren vielen Türen stets für neue räumliche Strukturen sorgen, überwiegt der Eindruck von Statik an diesem Abend. Das liegt vor allem daran, dass Jones zwar viel Bewegung rund um die Protagonisten arrangiert, diese selber aber recht unscharf zeichnet und ihnen kaum szenische Aktion zugesteht, während sie zu singen haben. So werden die Ensembles bisweilen zu Stand- bildern in einigermassen unübersichtlichen Figurenkonstellationen.
Kompliment ans Ensemble
Immerhin stand damit sängerischen Höchstleistungen keine szenische Beeinträchtigung im Weg. Das nutzte das junge Basler Ensemble auf allen Positionen dankbar aus. Besonders hervorzuheben sind der deutsche Tenor Simon Bode mit einem unglaublich warmen Timbre als Don Ottavio, die imposante, energische Donna Anna von Kiandra Howarth, die Donna Elvira von Anna Rajah mit viel Energie in der etwas unsteten Stimme, natürlich Riccardo Fassi als stimmlich agiler Don Giovanni und Biagio Pizzuti als Leporello, die nicht nur sängerisch ein bezwingendes Paar waren, sondern auch darstellerisch immer wieder mit hübschen Details amüsierten.
Am Pult des im hochgefahrenen Graben spielenden Basler Sinfonieorchesters stand der neue musikalische Leiter des Theaters, der Amerikaner Erik Nielsen. Obwohl er mit den sattelfesten Musikern ein Klangbild pflegt, das durchaus die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis einbezieht, steht sein Mozart dem heute oft gehörten Trend zu scharfen Akzentuierungen und schnellen Tempi entgegen. Klangfarblich zauberte er eher weiche Konturen aus dem Orchester, liess subtilen Instrumentierungsfinessen, die es hin und wieder auch in diesem Stück gibt, viel Raum, pflegte dafür sorgfältig die orchestralen Details und nutzte auch Pausen als dramaturgische Elemente.
Die Kehrseite der Medaille waren durchwegs eher langsame Tempi, die nicht nur dem Publikum zu schleppend waren, sondern hörbar auch den Solisten, die immer wieder vorwärts drängten und Nielsen damit zum Nachziehen zwangen.