Herbert Büttiker, Der Landbote (31.01.2017)
Charles Gounods «Faust» ist der Renner des französischen Repertoires. Jetzt lockt die Goethe-Oper ins Stadttheater Bern. Dieses präsentiert sich nach aufwendiger und ästhetisch sorgsamer Renovation in neuem Glanz.
Auf vier Saisonpausen verteilt, erfolgt in Bern eine umfassende Sanierung des 1903 eröffneten Hauses. Die dritte Etappe betraf vor allem den Theatersaal. Neue Sitze wurden eingebaut, das Foyer, die Umgänge und die Toiletten komplett saniert. Wer das Theater jetzt betritt, ist überrascht von der grosszügigen Neugestaltung der Umgänge, aus denen die Garderoben entfernt wurden. Das historische Ambiente wurde dabei nicht angetastet, sondern eher noch betont. Die hochglanzgestrichenen Wände und Türen ziehen jetzt den Blick auf sich und lassen den Saal als einen kostbaren Schrein der Bühnenkunst erscheinen.
Da die Arbeiten diesmal länger dauern sollten als die Saisonpause, wurde vom März bis Oktober 2016 in einem eigens gebauten Provisorium gespielt – eine offenbar positive Erfahrung für das Publikum wie den Veranstalter. Der Zulauf zu den 191 Vorstellungen im «Kubus» hielt nicht nur die Saisonbilanz intakt, sondern brachte auch neues Publikum. Jeder fünfte Besucher des Provisoriums habe vorher noch nie eine Veranstaltung von Konzert Theater Bern besucht, heisst es.
Magie des Moments
Saisoneröffnung im frisch renovierten Haus war im November – natürlich, möchte man sagen – mit Mozarts «Le nozze di Figaro». Aber Bern pflegt auch das grosse romantische Repertoire, obwohl das Theater mit neu maximal 688 (zuvor 780) Plätzen nicht eben gross ist. Es folgen in dieser Saison noch die Premieren von Wagners «Tannhäuser» und Brittens «The Turn of the Screw». Für Charles Gounods «Faust» ging der Vorhang am Sonntag auf, und diese Premiere war wiederum ein Beleg dafür, dass der Berner Opernapparat bestens aufgestellt ist und es sich auch aus weiterer Distanz lohnt, dessen Aktivität im Auge zu behalten.
Gut aufgestellt in allen Aspekten: «Faust» galt zu seiner Zeit als avanciertes Werk, und das hat mit der reich instrumentierten, exquisit farbigen Partitur zu tun, mit einer ins Sinfonische überfliessenden Gesangsmelodik. Das Orchester realisiert die überwältigende Klangschönheit und Ausdrucksfülle mit aller wünschbaren Sensibilität und Verve. Jochem Hochstenbach, seit dieser Saison 1. Kapellmeister, sorgt nicht nur für beste Koordination mit der Bühne, sondern immer wieder auch für die besondere Magie des Moments, die aus dieser Präzision, aus dem Flair für Klangsinnlichkeit und subtile Balance erwächst.
Auch dem Chor hält das Werk eine Paraderolle bereit, und dieser lässt sich nicht zweimal bitten: Auf der Kirmes geht es musikalisch hoch zu und her, die Szene in der Kirche erhält ihr volles pathetisches Gewicht, der Soldatenchor den markigen Schritt.
Glänzend besetzt
Gut aufgestellt: Das zeigte sich an dieser Premiere auch, was die solistische Besetzung betrifft. Nur gerade für die Titelfigur wurde ein Gast engagiert: der deutsche Tenor Uwe Stickert, der musikalisch einen energievollen und nuancenreichen Faust gestaltet. Mit lichten Höhen und geschmeidiger Phrasierung entspricht er sängerisch sehr schön der französischen Sensibilität dieser Figur.
Zum Berner Ensemble gehören die Sopranistin Evgenia Grekova als bewegend lyrisch-zarte Margarethe, die Mezzosopranistin Claude Eichenberger als Marthe, Todd Boyce, der mit griffigem und agilem Bariton als Valentin imponiert, und der Bass Kai Wegner, der dem Mephisto die hinterhältig bösen Farben gibt und dabei klug mehr auf Nonchalance als aufgedonnerte Töne setzt.
Besonders glänzt auch die Mezzosopranistin Eleonora Vacchi in der liebenswürdigen Rolle des Jünglings Siébel. Ihn macht die Inszenierung aus unerfindlichen Gründen zum Mädchen. Es ist ja nicht so, dass der Regisseur und Bühnenbildner Nigel Lowery eine Scheu vor Verkleidung und Maske hätte – im Gegenteil.
Sensibilität und Maskenstarre
Den neuen Berner «Faust» prägt eine Malerei, die gerade auch die Figuren betrifft. Expressionistische Bühne, Bilderbuchmalerei und Puppenspiel abstrahieren das Stück von einer realistischen Sphäre, aber nur, um in starken Farben umso eindrücklicher auf den Kern des Stoffes zu zielen. Das hat neben seiner naiv-stimmigen auch seine hölzerne Seite und überzeugt nicht durchwegs. An den Kontrast sängerischer Sensibilität und Maskenstarre muss man sich erst gewöhnen, die gestische Mechanik wirkt teils beliebig.
Aber die Sicht erweist sich alles in allem und vor allem in den beiden letzten Akten als eindringlich und schlüssig: schmerzlich, aber wahr, wie das Finale für die Kindsmörderin Apotheose und Galgen gleichzeitig bereithält.