Maria Künzli, Berner Zeitung (31.01.2017)
Lass dich weder auf den Teufel noch auf die Kirche ein: Konzert Theater Bern zeigt die Oper «Faust» des französischen Komponisten Charles Gounod als Spiegel religiöser Scheinheiligkeit. Das ist plakativ, aber effektiv. Und eröffnet interessante Spannungsbögen.
Jesses Maria und Josef. Die Oper «Faust» von Charles Gounod steht auf dem Programm, und es beginnt schon bei der Ouvertüre: «Seigneur, pardonne-nous nos péchés» steht ins weissen Lettern auf grünem Grund geschrieben. Herr, vergib uns unsere Sünden. Und sündigen wird gleich einer, Faust (Uwe Stickert) nämlich. Der Vorhang hebt sich, und da singt er auch schon, dass er gerne noch mal jung wäre. Mephisto (Kai Wegner) schleicht um ihn herum, diabolisch grinsend, siegessicher abwartend.
Fokus auf Liebeswirren
Der französische Komponist Charles Gounod (1818–1893) fühlte sich schon als Jugendlicher von Goethes «Faust» angezogen. Für die musikalische Umsetzung des Stoffes interessierte er sich neben Mephisto vor allem für die unglückliche Liebe zwischen Faust und Margarethe (Evgenia Grekova). So geht es Faust in Gounods Oper nicht um Erkenntnisgewinn, sondern darum, bei jungen Frauen wieder eine Chance zu haben. Dafür schliesst er mit Mephisto, dem personifizierten Bösen, einen Pakt. Mephisto hilft ihm, bei Margarethe zu landen, im Gegenzug dazu landet Faust in der Hölle.
In der Berner Inszenierung von Regisseur und Bühnenbildner Nigel Lowery kommt noch eine weitere Hauptakteurin hinzu: die Kirche. Sie ist Dreh- und Angelpunkt im Bühnenbild. So steht Faust im ersten Akt nicht in seinem Studierzimmer, wie im Libretto angezeigt, sondern neben der Kirche. Margarethes Bruder Valentin (Todd Boyce) zieht das Priestergewand an, bevor er in den – heiligen – Krieg zieht. Die Kriegsrückkehrer feiern ihren Triumph: in der Kirche. Und schliesslich, nachdem Margarethe von Faust verlassen wurde, verflucht Valentin seine Schwester nicht als Bruder, sondern als Kirchenoberhaupt. Die Kirche, oder Valentin als deren Vertreter, wird wie Mephisto zum Puppenspieler. Beide steuern und manipulieren die Menschen, die – durch Schminke zu gesichtslosen Puppen entstellt – zur willenlosen Masse verkommen. So erscheinen die Bürger bei ihrem ersten Auftritt ziemlich plakativ als torkelnde Untote.
Maskenhafte Puppen
Bis zum Schluss zieht Lowery seine Deutung mit aktueller Religionskritik durch, klar und unmissverständlich. So findet Margarethe selbst im Tod keine Erlösung. Sie wird gehängt – inmitten von gläubigen Scheinheiligen. Was bleibt, ist die Sünde. Klar, das ist Holzhammertechnik, die nicht alle goutieren. Der britische Regisseur lässt wenig Spielraum für Facetten, öffnet dafür einen interessanten Spannungsbogen hin zur Musik: Die maskenhaften Puppen stehen in Kontrast zur Musik Gounods, die zugänglich und emotional ist. Walzerklänge begleiten das Volksfest, ein Marsch die Krieger. Margarethes Kampf zwischen Moral und Verlangen, all das erschliesst sich hier fast ausschliesslich über die Musik. So ist Lowerys Herangehensweise nur auf den ersten Blick eindimensional.
Und: Er kann sich auf ein hervorragendes Ensemble verlassen. Zu Recht bekommen am Premierenabend das Berner Symphonieorchester (BSO) und sein musikalischer Leiter Jochem Hochstenbach den intensivsten Applaus. Das BSO bleibt in den tänzerischen wie dramatischen Passagen beschwingt, druckvoll und präzise. Und bereitet damit dem auf insgesamt hohem Niveau agierenden Gesangsensemble nahrhaften Boden. Evgenia Grekova brilliert als Margarethe mit stimmlicher Intensität, während sich Kai Wegner als Mephisto herrlich diabolisch, wenn auch nicht sehr facettenreich gibt. Todd Boyce stiehlt seinem Gegenspieler als Valentin mit stimmlichen Finessen und Bühnenpräsenz hie und da die Show.
Beim Schlussapplaus ist Nigel Lowery der einzige, der vereinzelt, aber inbrünstig ausgebuht wird. Es scheint ihn fast ein wenig zu freuen. Jesses Maria und Josef.