Bilder, Klänge - Oper?

Christian Berzins, Aargauer Zeitung (18.10.2005)

La Forza del Destino, 16.10.2005, Zürich

Verdis «Forza del destino» ist museal bebildert und von Nicolas Joel nur ansatzweise inszeniert. Musikalisch ist der Abend Durchschnitt.

Wie waren die Zürcher 1991 doch erstaunt: Ein Impresario aus Wien hatte sein Opernhaus-Direktoren-Amt begonnen und offerierte Neuinszenierungen noch und noch. Doch bereits bei seiner zweiten Premiere gabs einen Dämpfer. In dunklen Bildern war die von Schicksalsschlägen gezeichnete Liebesgeschichte zischen Leonora und Alvaro verschwunden, eine Deutung von «La forza del destino» blieb Regisseur Tony Palmer dem Publikum schuldig. Da es, so Pereira im «Opernhaus-Magazin», die Verdi-Opern kontinuierlich zu erneuen und zu pflegen gilt, hat er jetzt «La Forza del destino» erneut inszenieren lassen. In 14 Jahren geschah viel, der Blick auf Verdis Opern hat sich gewandelt: Was einst normal war, wirkt heute verstaubt. Vice versa.

So besteht selbst für die Arbeit von Regisseur Nicolas Joel Hoffnung. Er zeigt Verdis Drama nämlich so lustlos, als würde es sich selbst erklären. Doch so genial ist diese (zu) viel gescholtene Oper nicht, dass man sie bloss zu bebildern brauchte. Das Handeln und Denken der zweimal drei Protagonisten gilt es zu hinterfragen und aufzuzeigen - dem Publikum zu erklären. Diese Aufgabe kann man auch in den prächtigen, realistischen Kulissen von Ezio Frigerio und den dicken Kostümen von Franca Squarciapino lösen. Aber Joel unternimmt fast nichts, und so werden selbst steinerne Mauern zu weichen Pappmaché-Wänden, edle Mäntel zu verstaubten Stoffen.

Immer wieder stört auch ein klischierter Realismus: lamentierende Mönche auf Fässern, trippelnde Soldaten, in Ohnmacht fallende Frauen. Das ist Oper von vorgestern. Schlimmer ist, wie dumm Joel seine Figuren auf der Bühne aussehen lässt: Ein Vincenzo La Scola ist in dieser Inszenierung einfach nur ein kleiner, dicklicher Tenor anstatt ein Held mit Inka-Vergangenheit; Joanna Kozlowska ist nur eine matronenhafte Sopranistin und keine trotzige Adels-Tochter. Allein Leo Nucci (Carlo di Vargas) kann mit seiner 30-jährigen Verdi-Erfahrung dagegen ansingen und anspielen.

Selten hat man so gut gehört, dass Verdisingen eben Verdisprechen heisst. Nucci artikuliert überdeutlich und akzentuiert - der Gesang kommt natürlich hinzu: bald dramatisch aufbrausend, bald lyrisch schmeichelnd, immer tief bewegend.

Kozlowska kann den Text nicht sprechen und folglich nicht singen. Und so bleibt ihr bester Moment die Pianissimo-Stelle kurz vor dem Einlass ins Klostergelände («La vergine degli angeli»). Diese Takte singt sie so famos, weil sie ein überaus lyrischer Sopran ist. Doch Leonora ist, bei allem Respekt vor allzu strengem Fächer-denken, nicht mit einem lyrischen Sopran zu besetzen. Denn ein solcher versucht über drei Viertel der Partie dramatisch zu sein. Kozlowska tut das sehr eigenartige: Sie zerreisst die Phrasen, macht eigenwillige Pausen und meint, damit Dramatik zu gewinnen. Es bleiben klischierte Gesten.

Alvaro-Debütant Vincenzo La Scola machte seine Sache besser, genauso wie Matti Salminen (Pa-dre Guardiano). Nach der missglückten Arie «La vita è inferno» fing sich La Scola auf und zeigte, wie beweglich und schmiegsam sein Tenor ist, wie kräftig und doch immer voller sinnlichen Schmelzes. Wie vor 14 Jahren singt Stefania Kaluza die Preziosilla - elegant, schlank, ganz ohne stimmliche Vulgaritäten.

Das Zürcher Publikum ist mit der Zeit gegangen. Vor 14 Jahren jubelte das Publikum, am Sonntag applaudierte es höflich, für die Regie gabs auch zwei, drei Buhs. Vol-ler Hoffnung wartet man auf die grossen Projekte, die der Intendant für die nächsten Jahre angekündigt hat. Immerhin, einer bleibt immer derselbe und gut: Dirigent Nello Santi. 1958 hat er in Zürich bereits «La forza» dirigiert. Es ist ein Genuss, die Qualität des Or-chesters zu belauschen - manchmal kann es Santi in seiner klangprächtigen Entfaltung kaum zurückhalten. Er zeichnet die Phrasen fein, gibt Atem in die Soli und drängende Kraft in die Tutti. Aber es ist auch ein Dirigat, das kaum Überraschungen kennt: Das Orchester schnurrt, wenn das Geschehen explodiert. Dass Santi die Ouvertüre nicht am Anfang, sondern zwischen dem 1. und 2. Akt spielt, bleibt die grösste Überraschung, ja ein Rätsel. Es war das einzige an diesem langen Abend.