Herbert Büttiker, Der Landbote (13.03.2017)
Verdis «Nabucco» ist ein Publikumsmagnet: Die Premiere am St. Galler Theater war denn auch das von allen erhoffte Chorereignis – szenisch in viel Rot, aber nicht gerade heisse Glut versetzt.
Auch die jüngere Geschichte und Gegenwart zünden in «Nabucco» hinein, wenn die Menschen in der babylonischen Gefangenschaft am Ufer des Euphrat das «Va pensiero» anstimmen. Für wie viele enthalten Verse wie «O, mia patria, sì bella e perduta! O, membranza sì cara e fatal!» nicht ihre Lebensmelodie?
Die Chöre des Theaters haben hier ihren grossen Moment, intensiv und dynamisch differenziert, vom Orchester mit klanglicher Sorgfalt begleitet – der junge Dirigent Hermes Helfricht präsentiert sich mit seiner ersten Einstudierung auf bestem Weg. Er besticht mit einem klaren, unpathetisch schlanken Ansatz und dem wachen Ohr fürs instrumentale Detail, wobei nur die schnellen Tempi zu wenig aus der dramatischen Deklamation heraus empfunden scheinen.
Die Inszenierung verzichtet darauf, die Brisanz des Opernstoffes zu aktualisieren. Sie lässt aber den Chor in heutigen Alltagskleidern agieren, und seine Präsenz auf einer Bühne, die mit theatralischem Rot und Gold künstlich aufgeladen ist, wirkt eher befremdlich, und harmlos wirkt die opernhafte, mit Speeren bewaffnete Garde. Es handelt sich um eine Produktion aus Oviedo (Emilio Sagi), die in St. Gallen neu einstudiert worden ist (Javier Ulacia), und das scheint, wie auch die Personenführung im Detail immer wieder zeigt, ein nicht gerade tief greifender Prozess gewesen zu sein. Nabuccos Einbruch in den jüdischen Tempel auf dem wackligen Gefährt untergräbt den Aplomb des Despoten. Damiano Salerno verrät ihn auch stimmlich nur bedingt, strömender blüht sein Bariton in der Melodik der grossen Duettszene im dritten und in der Arie im vierten Akt.
Utopische Wende
In ihrem operettenhaften Damenkleid kann Raffaella Angeletti, die den spektakulären vokalen Zumutungen der Partie mit viel Verve begegnet, die intendierte szenische Dominanz der Abigaille nur mit Mühe entfalten, und bei Tareq Nazmi, der mit imponierendem Bass, aber steifer Haltung als Zaccaria etwas verloren auf der Bühne steht, vermisst man die Statur des Propheten.
Zuletzt stimmt das Ensemble zusammen mit dem Chor «Immenso Jehova» an. Die a cappella gesungene Hymne ist ein letzter Höhepunkt der «Choroper», und der Chor verdient hier nochmals ein Bravo für den souveränen Einsatz von der Introduzione bis zum Finale.
Dieses kurze Finale, das auch zu kurz wirken kann, bekommt hier seine wahre Grösse, musikalisch vom Dirigenten sehr schön austariert und auch szenisch in stimmungsvoller Lichtregie überzeugend. In drei musikalisch grossartig komponierten Anläufen lässt Verdi den despotischen, selbstherrlichen Titelhelden menschlich zu sich selber kommen. Durch die Coups de théâtre dreimal abgesichert, kommt dieser Durchbruch für einmal nicht tragisch spät, sondern führt die utopische Wende im Menschheitsdrama herbei, und die babylonische Gefangenschaft hat «Gott sei Dank» ein Ende. So gesehen, ein guter Abend.