Maria Künzli, Berner Zeitung (10.04.2017)
Erotik im Wald, Verlogenheit in Weiss: Konzert Theater Bern zeigt Wagners Oper «Tannhäuser» in einer charakterstarken Inszenierung von Calixto Bieito.
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. So könnte man das nennen, was sich zwischen dem Minnesänger Tannhäuser und der Liebesgöttin Venus abspielt. Zusammen leben sie im Venusberg, dem Tempel der Lust – oder dem Sündenpfuhl, je nach Betrachtungsweise. Da ist Hingabe, da ist Rausch, da ist Sinnlichkeit. Da ist aber auch diese Sehnsucht nach Unschuld, die Tannhäuser umtreibt, nach saftigen Wiesen und Gemeinschaft. Er will zurück ins normale Leben. Venus will ihn nicht ziehen lassen, kann ihn aber nicht halten. Er verlässt sie.
So beginnt die Oper «Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg» von Richard Wagner. Das 1845 in Dresden uraufgeführte Werk spielt Anfang des 13. Jahrhunderts und beruht auf der Sage des Ritters Tannhäuser, beschrieben auch in der Tannhäuser-Legende von Heinrich Heine (1836) oder in Ludwig Tiecks «Der getreue Eckart und der Tannhäuser» (1793). Wie oft bei Wagner, muss man als Zuhörer Zeit und Sitzleder mitbringen. Viereinhalb Stunden inklusive zweier Pausen heisst das für Bern. Doch Konzert Theater Bern ist gewappnet: Es gibt während der Pause ein Zwei-Gang-Menu für jene, die frühzeitig reserviert haben, für die anderen stehen Sandwiches und Gulaschsuppe bereit.
Wald und weiss
Der 53-jährige katalanische Regisseur Calixto Bieito – der 2013 bereits Händels «Il trionfo del tempo e del disinganno» in Bern inszenierte – versetzt das Werk in eine unbestimmte Gegenwart, geprägt von einer kalten und stereotypen Gesellschaft. Die Welt der Venus ist eine düstere: Ein finsterer Wald, in dem sich grosse Zweige langsam im Kreis drehen. Der Boden schwarz und nass (Bühne: Rebecca Ringst). Kontrastierend dazu die menschliche Welt, in der Tannhäuser nach seiner Flucht vor Venus neuen Halt sucht: Steril und weiss ist es da, und Tannhäuser wird erst mal nicht mit offenen Armen empfangen. Seine ehemaligen Sängerkollegen nehmen ihm sein Verschwinden übel und auch die Tatsache, dass jene Frau, die alle verehren, noch immer nur an Tannhäuser denkt: Elisabeth. Er muss erst ein archaisches Ritual über sich ergehen lassen, bevor er wieder einer von ihnen ist: Die Männer beschmieren sich gegenseitig mit Blut und klopfen sich wie Gorillas auf die nackte Brust. Dann: Pause Nummer eins.
Danach erlebt Tannhäuser der seinen Niedergang. Die Wiedersehensfreude mit Elisabeth ist von kurzer Dauer. Als alle erfahren, dass Tannhäuser im Venusberg war und er schliesslich bei einem Sängerwettstreit alle auffordert, es ihm gleichzutun, wird er zum Sünder. Und Elisabeth, die sich schützend vor ihn stellt, besiegelt damit ihr Schicksal gleich mit. So kommt es wie es kommen musste: Tannhäuser wird verbannt.
Bieito, oft als «Skandalregisseur» betitelt, könnte bei dieser Vorlage aus dem vollen Schöpfen. Er könnte klotzen mit Sex, Blut und Gewalt. Er tut es aber nicht. Vielmehr spielt er subtil mit dem Gegensatz der beiden Welten, lenkt die Aufmerksamkeit auf die heuchlerische Gesellschaft, vor allem aber auf die innere Zerrissenheit Tannhäusers. Das ist einer, der an sich und der Welt zweifelt, der nicht weiss, was er will und nicht findet, was er sucht. Nicht bei Venus und auch nicht bei Elisabeth. Am wenigsten bei sich selbst. Daniel Frank ist dafür eine grossartige Besetzung: Er geht körperlich und stimmlich an seine Grenzen. Mal ist sein Gesang bestechend klar, mal verliert er sich im verzweifelten Schrei. Diese Rolle verlangt dem Sänger einiges ab. Claude Eichenberger ist eine charismatische Venus, stimmlich wie darstellerisch schillernd.