Umso irrer

N. N., Der Bund (27.03.2017)

Tannhäuser, 25.03.2017, Bern

Calixto Bieito inszeniert «Tannhäuser» am Stadttheater Bern: Der Starregisseur stürzt das Personal von Wagners Oper in menschliche Abgründe, in denen allein das fulminant aufspielende Berner Symphonieorchester leuchtet.

Es ist kein gewöhnlicher, allenfalls gar deutsch-romantischer Wald, der uns erwartet, sobald der Vorhang aufgeht. Zunächst fallen eher die technischen Einrichtungen ins Auge, die Winden und Züge der Bühnenmaschinerie, die diesem grünen Blattwerk zu langsamem Drehen und Wippen verhelfen und es in ständiger Bewegung halten. Noch dazu hängen die Bäume und Ranken allesamt von der Decke, statt aus dem Boden zu wachsen.

Tannhäuser in der Regie des Katalanen Calixto Bieito haust zwar zu Beginn tatsächlich im Tann, doch der ist nicht von dieser Welt, sondern die Sphäre der Liebesgöttin Venus. Claude Eichenberger kann in dieser Paraderolle gar nicht genug bekommen von ihrem Liebesdiener, der die traute Abgeschiedenheit allerdings nicht mehr so recht geniessen kann. Ihn zieht es aus dem Elysium hin zu Abenteuern, Kämpfen und Schmerzen. Weder Drohen noch Schmeicheln der Göttin vermögen da zu fruchten, Tannhäuser will oder muss zurück in die Welt, die er zuvor für diese künstliche Naturlandschaft verlassen hat.

In seiner alten Heimat wird er allerdings alles andere als wohlwollend aufgenommen. Im Gegensatz zum dunkel-düsteren Venusberg, den der Regisseur im Programmheft als – letztlich nicht gänzlich befriedigendes – «Biotop vollkommener Freiheit» bezeichnet, ist die thüringische Wartburg ein gleissender weisser Kasten von monströsen Ausmassen (Bühne: Rebecca Ringst).

Männerbündlerisches Gehabe

In diesem auf Hochglanz gebrachten klinischen Raum erscheinen dessen Bewohner, der Landgraf Hermann (Kai Wegner) und sein rohes Gefolge, umso irrer. Die alten Sängerkollegen nehmen Tannhäuser zwar mit einem grauslichen männerbündlerischen Ritual, in dem sie sich gegenseitig mit Blut beschmieren, wieder in ihren Kreis auf. Gleichzeitig sind diese testosterongeschwängerten Rohlinge, deren Urschreie im Black des ersten Akts einige Lacher im Publikum provozieren, in einen unbarmherzigen Wettstreit untereinander verwickelt, der mal mit physischem Gehabe und Gewalt, mal mit Sangeskunst ausgetragen werden kann.

Dem Menschen ein Wolf sind auch die vermeintlich edlen Gäste auf der Wartburg (Kostüme: Ingo Krügler); zähnefletschend erregen sie sich über Tannhäusers Preislied der Liebe. Mit Astwedeln wird dem Aussenseiter daraufhin die von ihm besungene Leidenschaft mit unbarmherziger Vehemenz ausgetrieben. Fast schon beängstigend ist das, wobei die Raserei an dieser Stelle ins Absurde abzugleiten droht. Die Aufführung scheint kurzzeitig aus den Fugen zu geraten, was denn auch in einem einsamen Buh-Ruf vor der zweiten Pause gipfelt. Dennoch wird am Ende auch Calixto Bieitos Regie vom Berner Publikum wohlwollend aufgenommen. Entstanden ist die Inszenierung als Koproduktion der Oper Antwerpen, der Theater in Venedig und Genua sowie von Konzert Theater Bern.

Nicht eben schön, aber über weite Strecken glaubwürdig und erschütternd sind in Bieitos Lesart die Bilder, die er für diesen zugespitzt ins Heute geholten mittelalterlichen Sagenkomplex findet. Die Sängerinnen und Sänger schonen sich dabei nicht, stellenweise gehen sie an die stimmlichen Grenzen. Mehr gekeucht als gesungen sind manche Stellen der Rom-Erzählung von Daniel Frank in der Titelrolle, und auch in den übrigen Partien wird die Stimme bisweilen Ausdruck der existenziellen Nöte. So endet Liene Kin?a als von ihrer Umgebung unterdrückte Elisabeth mit Borderline-Syndrom in todessehnsüchtigem Wahnsinn, während Jordan Shanahan als eifersüchtiger Nebenbuhler Wolfram von Eschenbach nicht davor zurückschreckt, Elisabeth beinahe zu erwürgen. Im apokalyptischen Dekor des Schlussakts, mit Rinnsalen von der Decke und einer humusbedeckten Bühne endet der Abend im wahrsten Sinne des Wortes trostlos: So straft das finale Bild einer unerhört flehenden Gesellschaft Wagners pathetische Schlussworte von Erlösung Lügen.

Das BSO strahlt

Ist die Inszenierung geprägt von mehrheitlich düsteren Schattierungen, bringt Kevin John Edusei mit dem Berner Symphonieorchester die Musik zum Strahlen. Selbstverständlich fehlen auch aus dem Graben weder fahle noch grobe Klänge, wo sie notwendig sind, doch ist es insbesondere das stille Leuchten etwa in den Bläserchorälen im dritten Akt, das den Musikerinnen und Musikern besonders berührend gerät. Gespielt wird dabei die Wiener Fassung, bei der die glänzend ausmusizierte Ouvertüre direkt in die erste Szene übergeht. Edusei prägt die viereinhalb Stunden dauernde Aufführung mit teils in die Extreme gehenden Tempi, wobei sich das Orchester – von wenigen Ausnahmen abgesehen – von seiner besten Seite zeigt. Eine leise Enttäuschung ist der an sich monumental auftrumpfende Chor (Einstudierung: Zsolt Czetner), dessen Koordination mit dem Orchester allzu sehr unter der Bühnenhandlung leidet. Den zu Recht enthusiastischen Reaktionen des Publikums auf die Leistungen der Beteiligten tut das aber keinen Abbruch.