Macht der Musik - und der Gewohnheit

Herbert Büttiker, Der Landbote (18.10.2005)

La Forza del Destino, 16.10.2005, Zürich

«La forza del destino» ist eine grosse Herausforderung. Das Opernhaus Zürich macht es sich szenisch zu einfach und lässt sich musikalisch beeindruckend herausfordern.

Verdi konnte sich über seine abenteuerlichste Opernhandlung auch ironisch äussern, und der Intendant, der «La forza del destino» auf den Spielplan setzt, wird sich lächelnd, vielleicht auch leicht erschreckend, an die Bemerkung erinnern, angesichts so vieler Toter am Ende auf der Bühne grenze es an ein Wunder, dass sich nicht auch der Impresario unter ihnen befinde. Dass der Opernhaus-Direktor diesmal davon gekommen ist, liegt kaum an der Inszenierung von Nicolas Joel, die gerade die Finalszene – die Ermordung Leonoras durch ihren im Duell mit Alvaro tödlich verwundeten Bruder – patzig in den Vordergrund holt und insgesamt wenig Profil zeigt. Schon eher hat der Erfolg dieser Premiere mit der Verdi-Crew zu tun, die Alexander Pereira zur Verfügung hat, Altmeister Nello Santi an der Spitze.

Vor allem aber ist es eben ein Stück von Verdi, und dieser wusste, dass er mit seiner Musik gerade aus dem Unwahrscheinlichen Wahrheit herausholen konnte – im Zusammenhang mit Gildas Leiche im Sack («Rigoletto») hat er sich darüber explizit geäussert. Und das Absurde des Lebens war durchaus sein Metier und shakespearesche Phantastik Vorbild.

Kloster und Welt

Das Drama des Spaniers Angel de Saavedra, Herzog von Rivas kam Verdi somit gerade recht: In «Don Alvaro o la fuerza del sino» (1835), einem der Hauptwerke der aus der Theaterküche Victor Hugos genährten spanischen Romantik, sah er ein Sujet, das «wirkungsvoll, einzigartig und äusserst weit gespannt» war. Was die Ausweitung ins Komische betraf, so setzte er zusammen mit seinem Librettisten Francesco Maria Piave sogar noch einiges drauf: Fra Melitone erhielt nach dem Vorbild Schiller («Wallensteins Lager») mit seiner Kapuziner-Predigt den grossen Auftritt, und auch die Zigeunerin Preziosilla wurde ins musikalische Zentrum des effektvollen «Scherzos» geholt, das den schweren Atem der Haupthandlung kontrastiert. «La forza del destino», im Kern der enge Kreis einer Verfolgungsjagd, bei der es um Rassendiskriminierung und Standesdünkel, um eine unmögliche Liebe und um Rache geht, ist so insgesamt Verdis grosses Panorama des Lebens zwischen Klosterstille und Weltgetümmel, zwischen intimer Seelenarbeit und Ausschweifen in der Wildnis von Kriegslärm und -elend.

Vertrauen in Verdis szenischen Realismus ist an sich der beste Ausgangspunkt für eine Inszenierung des weitläufigen Vierakters, und die Zürcher Produktion steht in diesem Sinn auf fruchtbarem Boden: Ezio Frigerios Bühnenbilder grundieren das Geschehen stimmungsvoll, und Franca Squarciapinos Kostüme, die es aus dem 18. ins 19. Jahrhundert vorschieben, vermitteln historische Atmosphäre ohne folkloristischer Buntheit zu verfallen.

Dass man so etwas wie Eigensinn in der ästhetisch gediegenen Arbeit vermisst, ist weniger ihr Problem als das der Regie, deren Ideenlosigkeit in Sachen Personenführung und szeni scher Motivation alles auf blosse Staffage reduziert. Da fehlen selbst die zur puren Plausibilität notwendigen Massnahmen wie etwa Leonoras Einkleidung vor der Zeremonie. Aber schlimmer noch, wenn einmal, eben in der Finalszene, die ungewohnte szenische Lösung gesucht wird: Wie kann man nur den unerhörten Orchester-Moment verspielen, wenn sich das Liebespaar, das sich nach dem ersten Akt bis hier nicht mehr sieht, plötzlich gegenübersteht?

Verdi-Gesang

Nun, die Musik macht tatsächlich vieles auch selbst. Eher verloren stehen manchmal die Spielfiguren da, etwas harmlos bleibt Preziosilla, obwohl Stefania Kaluza die brillante Partie mit Leichtigkeit und auch einiger Verve meistert. Blass bleibt Giuseppe Scorsins Marchese. Paolo Rumetz allerdings schwingt als Fra Melitone die Suppenkelle mit urwüchsigem Buffo-Talent, und auch Alfred Zysset (Mastro Trabuco) und Reinhard Mayr (Alkalde) setzen sich stimmlich markant in Szene. Besonders in den Duetten zwischen Alvaro und Carlo lodert das dramatische Feuer heftig. Beide entfalten hier ihr stimmliches Potenzial am flexibelsten und vollsten, während sie in den exponierten Arien eher zähflüssiger agieren. Aber Vincenzo La Scola gibt insgesamt ein Rollendebut, das in seiner expressiven Vehemenz an die grossen Vorgänger erinnert, und wo die baritonale Brillanz nicht in Überfülle zu Gebot steht, verschafft Leo Nucci seiner Figur die draufgängerische Dynamik mit impulsiven Akzenten.

Verdi-Gesang pur bietet am dichtesten Joanna Kozlowskas Leonora, immer wieder berührend durch Fülle, ausdrucksvolle Reinheit des Timbres und durch innige Phrasierung. Schön der Kontrast ihres emotionalen Soprans im Duett mit Padre Guardian, in dem Matti Salminens gleichsam instrumentaler Priester-Bass einen klaren Kontrapunkt setzt.

Keine Altersmilde

Zum musikalischen Plus der Aufführung gehört, was die Chöre zwischen «La Vergine degli angeli» und «Rataplan» mit Präzision und Klangfülle leisten. Auch diesbezüglich gilt: im Reichtum der Kontraste lässt Verdis präziser Einfallsreichtum keinen Moment der Ermüdung aufkommen. Dass Kantilene dabei nur eine Qualität unter vielen ist, aber auch eine des Orchesters, gehört zum musikalisch Beglückenden des Abends, zu verdanken insbesondere Klarinette und Solovioline. Der Reichtum begleitender Nebenstimmen wird von Santi wohl nicht immer klar genug herausgearbeitet, aber punkto dramatischer Schlagkraft lässt sein Dirigat noch lange nicht an Altersmilde denken.