Dominique Spirgi, TagesWoche Online (30.04.2017)
Der Regisseur und Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui setzt im Theater Basel die Oper «Satyagraha» des Minimal Music-Komponisten Philipp Glass als berauschenden Klang- und Bilderbogen in Szene.
Dieser Abend mit dem esoterisch anmutenden Titel «Satyagraha» (das heisst: «Kraft der Wahrheit») hat auf den ersten Blick gesehen so gar nichts Opernhaftes oder Dramatisches: Drei Stunden lang monotone Dreiklang-Harmonien ohne wesentliche Kontrapunkte.
Figuren, die untereinander keine Spannungen erzeugen, Charaktere, die sich nicht entwickeln und in unverständlichem Sanskrit unter anderen Folgendes von sich geben: «Überwindet alle Gegensätzlichkeiten, kennt keinen Neid, bleibt derselbe in Gelingen und Misslingen.»
Philipp Glass' Oper «Satyagraha» ist ein musikalisches Porträt von Mahatma Gandhi. Das Libretto, wenn man es denn überhaupt so nennen kann, besteht aus Ausschnitten aus einer in Sanskrit verfassten Schrift des Hinduismus. Das klingt dann eben so, wie oben beschrieben.
Bei der Minimal Music von Philipp Glass scheiden sich die Geister. Für die einen ist der Amerikaner ein zeitgenössischer Komponist, der vor der Herausforderung der seriellen Musik in eine Welt von Wohlklang-Loops geflüchtet ist. Für andere ein Guru des hypnotisierenden Klangrauschs.
Musikalisches Porträt von Gandhi
Klingt im ersten Moment eigentlich sterbenslanweilig. Oder wie ein älterer Herr in der Pause sagte: «Ein gemütlicher Abend, man kann einnicken, und wenn man wieder aufwacht, ist alles noch gleich wie vorher.»
Langweilig ist «Satyagraha» aber ganz und gar nicht – wenn man sich dem intuitiven und sich in kleinen Facetten stetig weiterentwickelnden Sog des Ganzen hingibt. Das Theater Basel weist im Programmheft mehrfach darauf hin, dass man sich aktiv auf diese Musik einlassen muss.
«Ihre Kraft entfaltet diese Musik erst dann, wenn wir nicht passiv darauf warten, dass sie uns irgendwohin transportiert, sondern mit einer hohen geistigen Intensität und Bereitschaft durch das Stück reisen», sagt der musikalische Leiter der Produktion, Jonathan Stockhammer, in einem Interview.
Das klingt schon fast wie ein Warnhinweis. Oder zumindest nach Anstrengung. Das Überzeugende an der Basler Aufführung – eine Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin und der Vlaamse Opera Antwerpen – ist aber, dass sie das Publikum sehr gut in diese Klang- und Bildwelt hinein- und hindurchführt. Dass der Abend eben nicht anstrengend ist.
Berauschender Klang- und Bilderbogen
Dass das Theater Basel Sidi Larbi Cherkaoui mit der Inszenierung betraut hat, erweist sich als Glücksfall. Der flämische Choreograf versucht nicht, eine stringente Geschichte zu erzählen, sondern schafft mit seiner Eastman-Tanzkompanie und dem präzise geführten Ensemble mit den Solisten und Chor einen berauschenden Klang- und Bilderbogen, der Platz für Assoziationen lässt.
Dabei kommt alles in einem stimmungsvollen und berührenden – manchmal auch bedrückenden – Fluss zusammen: Die durchgehend in Wellenbewegungen sprudelnde Musik (mit dem engagiert und präzise aufspielenden Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Jonathan Stockhammer), die Bühne (Henrik Ahr), das Licht (Roland Edrich) die Kostüme (Jan-Jan Van Essche) und das gesanglich und tänzerisch durchs Band überzeugende Ensemble mitsamt dem fast durchgehend präsenten Chor verschmelzen zum szenischen Ganzen.
Beeindruckende Ensembleleistung
Dabei wischt Sidi Larbi Cherkaoui die inhaltliche Basis, nämlich den Aufbruch Gandhis von Südafrika auf seinen Weg zur Befreiung der Unterdrückten, nicht einfach weg. Aus dem szenischen Fluss kristallisieren sich Bilder heraus, die nachhallen.
Ein Beispiel: Langsam schwebt der an Seilen aufgehängte Bühnenboden nach oben mit Gandhi (Rolf Romei) als einzig verbliebenen und einsamen Protagonist auf ihr. Darunter können sich die Tänzerinnen und Tänzer langsam von den beengten oder eben unterdrückenden Verhältnissen befreien, während Gandhi oben von der Last seiner Mission beinahe erdrückt wird.
Beeindruckend ist, wie präzise der Regisseur und Choreograf mit dem Ensemble gearbeitet hat. Allen voran mit der begeisternden Tanzkompanie, die er von Antwerpen mitgenommen hat: Eine Truppe mit elf herausragenden Solistinnen und Solisten, die sich aber gut zusammenfügen. Aber auch mit den acht Sängerinnen und Sängern, die sich engagiert in die fliessende Bewegungschoreografie einfügen. Und dem Chor, der nicht nur (einmal mehr) als Klangkörper, sondern auch als Gruppe mit individuellen Charakteren zu überzeugen vermag.