Anja Wernicke, Aargauer Zeitung (02.05.2017)
Die Gandhi-Oper «Satyagraha» von Philip Glass erhält im Theater Basel eine Extra Portion Dynamik
Wie diese Oper ohne Tänzer gewirkt hätte? Das fragten sich vergangenen Freitag wohl viele Premierengäste im Theater Basel. Denn ursprünglich sind in dem 1980 entstandenen Werk des amerikanischen Komponisten Philip Glass keine Tänzer vorgesehen. Einerseits hätten die Szenen sicher deutlich statischer gewirkt. Die elfköpfige, vielseitige Tanzcrew symbolisiert mit ihrer Dynamik Gandhis unermüdlichen Tatendrang während der 15 Jahre, die er in Südafrika lebte und dort gegen die Diskriminierung der indischen Minderheit kämpfte.
Dieser Kampf, für den er seine Waffe «Satyagraha», die Kraft der Wahrheit, auf Grundlage der hinduistischen Schrift «Bhagavad Gita» entwickelte, ist das Thema der Oper. Andererseits wäre ohne die permanente Präsenz der Tänzer vielleicht auch die berühmte Sogwirkung der Musik von Glass stärker gewesen, die aufgrund ihrer strukturellen Einfachheit und permanenten Wiederholung von gebrochenen Dreiklängen entsteht. Leider war der fehlende Sog aber auch auf die Interpretation des Sinfonieorchesters Basel unter der Leitung von Jonathan Stockhammer zurückzuführen, der es an Druck fehlte.
Leise und ohne Spannung
Während die Tänzer im Turbogang ihre Energie und Präsenz auf der Bühne versprühten, liess die Musik aus dem Orchestergraben eher den Eindruck einer angezogenen Handbremse entstehen. Über weite Strecken schien sie schlicht zu leise und zu wenig spannungsvoll. Selten kommt es vor, dass die Sänger-Solisten das Orchester so stark übertönen. Selten hört man die Nebengeräusche der Tänzer so deutlich. Hier war beides der Fall. Obwohl die Musik auf den ersten Blick auch für Anfänger spielbar scheint, stellt sie in der Umsetzung eine grosse Herausforderung in Sachen Konzentration und Spannung dar.
Beides zu halten gelang dem Chor des Theaters Basel sicher deshalb besser, da er von Sidi Larbo Cherkaoui geschickt in die choreografischen und szenischen Abläufe eingebunden wurde. Ob als wütender Mob, der Gandhi attackiert, oder als eingeschworene Gemeinschaft, vor der Gandhi sein Gelübde des gewaltfreien Widerstands ablegt: Sänger und Tanzensemble verschmelzen dank elementarer Gesten zu einer Einheit.
Action im dritten Akt
Der belgische Choreograf findet passende und einleuchtende Bilder, um das szenische Geschehen zu illustrieren und zu kommentieren. Wenn die Tänzer die symbolischen Walzen der Druckmaschine rotieren lassen, welche die «Indian Opinion» druckt, Gandhis Presseorgan in Südafrika. Oder wenn sie Rolf Romei als Gandhi wieder und wieder durchwalzen und durchschütteln. Der Tenor lässt es unbeeindruckt über sich ergehen, singt ganz selbstverständlich auch kopfüber und leistet dabei erstaunliches. Die wiederkehrenden, vor- und rückwärtslaufenden Bewegungsabläufe sind ein geschicktes Mittel, um die permanenten Wiederholungen in der Musik aufzugreifen.
Die grösste Action hat er sich jedoch für den dritten und letzten Akt aufgehoben. Hier kommt nun die endlich auch die bewegliche Bühne (Henrik Ahr) so richtig zum Einsatz. Die Drahtseile verraten von der ersten Sekunde an, dass der Boden sich in die Höhe ziehen lässt. Cherkaoui nutzt ihn als eine Art Trennung zwischen geistig überlegener Sphäre und der Hölle auf Erden. Darin schmoren die Tänzer in rotem Licht, während die Sänger-Solisten (Weggefährten aus Gandhis Zeit in Südafrika) oben als bereits mystifizierte Personen hellblau ausgeleuchtet erscheinen.
Am Schluss schwebt Gandhi dann ganz allein im Schneidersitz in der Bühnenmitte. Erlöst vom irdischen Gewusel, kündigt er seine erneute Menschwerdung in ungerechten Zeiten an.