Martina Wohlthat, Neue Zürcher Zeitung (03.05.2017)
«Satyagraha» von Philip Glass in Basel
In der Gandhi-Oper «Satyagraha» von Philip Glass zeigt Sidi Larbi Cherkaoui am Theater Basel, wer die wahren Athleten der Seele sind.
Einst fortschrittliche Komponisten wie Richard Wagner verachteten Balletteinlagen in der Oper noch als lästige Konvention. Doch seit einigen Jahren sind es vor allem Tanzschaffende wie Sasha Waltz, Joachim Schlömer und der Superstar des flämischen Tanztheaters, Sidi Larbi Cherkaoui, die der Oper neue Impulse verleihen, indem sie Musik in körperlichen Ausdruck verwandeln.
Auf verblüffende Weise kommt das Theater Basel mit der Gandhi-Oper «Satyagraha» von Philip Glass nun unversehens zu einem mitreissenden Tanztheaterabend. Die dreiaktige Oper erweist sich nämlich als in hohem Masse tanzbar.
Eigene Musik der Körper
Der choreografische Zugriff liegt indes nicht fern. Denn Philip Glass, der Ende Januar seinen achtzigsten Geburtstag feierte, arbeitete eng mit dem grossen Bild- und Gesten-Zauberer Robert Wilson zusammen. Im Gegensatz zu Wilsons Zeitlupen-Ästhetik setzt Cherkaoui jedoch auf tänzerische Dynamik. Tanzen sei der extremste Akt, um sich mit dem Körper im Raum zu verorten, findet Cherkaoui. Für den flämischen Tänzer und Choreografen mit marokkanischen Wurzeln ist Glass' Musik vor allem eins – eine Einladung zur Bewegung.
Die Tänzer seiner Antwerpener Kompanie Eastman reiten auf den hundertfach wiederholten Akkorden dieser Minimal Music wie Surfer auf den Wellen. Fabelhaft, wie sich zu Beginn einzelne Tänzer zu synchron getanzten Sequenzen zusammenfinden und mit schier endlosen Drehungen und Luftrollen eine eigene Musik der Körper entstehen lassen.
Wenn ein Tänzer in einem der seltenen Momente von Stille keuchend ausatmet, sagt das mehr über das Leben als die aus dem Sanskrit übersetzten Weisheiten in den Übertiteln am Bühnenportal. Die Texte aus der indischen Dichtung «Bhagavad Gita» im Libretto korrespondieren lose mit den biografischen Gandhi-Episoden. «Satyagraha» ist ein typisches Kind der 1980er Jahre, als der Westen Spiritualität fern der westlichen Tradition suchte. Dies wirkt heute etwas angestaubt, und so geraten die Handlungsstränge im ersten Teil der Oper insgesamt schwächer als der eher abstrakt gestaltete Schlussteil.
Als Regisseur hätte man Sidi Larbi Cherkaoui jenen Mut zur radikalen Reduktion und Verdichtung gewünscht, den er als Choreograf an den Tag legt. Im Zentrum stehen Gandhis frühe Jahre in Südafrika von 1893 bis 1914, wo er als Rechtsanwalt unter dem Eindruck der Unterdrückung der indischen Minderheit seine Idee des gewaltlosen Widerstands unter dem Begriff «Satyagraha» – zu übersetzen etwa mit «Kraft der Wahrheit» – entwickelte.
Gezeigt werden schlaglichtartige Situationen – der Angriff einer aufgebrachten Menge auf Gandhi, die Gründung der Zeitung «Indian Opinion», das Verbrennen der diskriminierenden Ausweispapiere, der Protestmarsch der Minenarbeiter von Newcastle. Dieser wird von den Akteuren im Gehen mit Kreidestaub als endlose Spiralform auf den Bühnenboden gezeichnet.
Das Einheitsbühnenbild von Henrik Ahr besteht aus einer an Stahlseilen aufgehängten Spielfläche, die sich hochfahren, in Schräglage bringen oder in Schwingung versetzen lässt. Wenn Gandhi und seine Mitarbeiter im Geiste um den Tisch sitzen, während andere die Schaufel in die Hand nehmen und den Boden bearbeiten, weht ein Hauch von utopischer Lebensreform-Bewegung um das Kap der Guten Hoffnung.
Die Kostüme des Modegestalters Jan-Jan Van Essche haben indische Anklänge. Der Basler Tenor Rolf Romei verkörpert Gandhi im typischen langen weissen Hemd als einen noblen Wissenden. Seine Stimme wirkt in der Eingangsszene, wo strömender Wohlklang gefragt wäre, noch etwas verhalten, vermag sich jedoch im Laufe des Abends zu steigern. In der letzten Szene schwebt Romei im Lotussitz über der blau angestrahlten Spielfläche, memoriert singend die Lehre von der Wiedergeburt.
Die übrigen Solisten und den Chor nimmt man als stimmlich ausgewogenes Ensemble wahr, was in der Partitur so angelegt ist. Die Sänger bindet Cherkaoui mit Handbewegungen, die an Tai-Chi erinnern, in sein Bewegungskonzept ein. Dadurch kommen einem die Sentenzen, die der Komponist für diese «Athleten der Seele» mit glockenartigen Klängen wie in Erz giesst, gleich weniger abgehoben vor.
Wonnen der Wiederholung
Keine Erstarrung dagegen im Orchestergraben, wo das Sinfonieorchester Basel unter dem Dirigenten Jonathan Stockhammer aus den repetitiven Strukturen und in sich kreisenden Motiven swingende Bewegung generiert. In einer Endlosschlaufe bohren sich die Dreiklänge in die Gehörgänge, wie wenn eine Schallplatte einen Sprung hat. Die Musik wird zum Mantra erhoben. Im besten Fall führt dies mit der Zeit zu einer anderen Wahrnehmung – oder auch nur zu einem Eingelullt-Werden von den schlichten Wonnen der Wiederholung.
Gegen Schluss gelingt nochmals eine Steigerung. Hier singen nicht nur entpersonalisierte Stimmen als Teil eines himmlischen Chores, sondern unter der hochgefahrenen Spielfläche tanzen sich auch die Eastman-Tänzer die Seele aus dem Leib.