Der Kulturchauvinismus bleibt ohne Widerspruch

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (20.06.2017)

Das Land des Lächelns, 18.06.2017, Zürich

Starke Bilder, keine Deutung: Dies ist die Bilanz von Andreas Homokis erster Zürcher Operetten-Inszenierung. Für Genuss sorgt die musikalische Seite dieser Lehár-Premiere – mit zwei blendenden Solisten.

Operetten geniessen nicht den besten Ruf. Sie gelten vielen als oberflächliche und weitgehend kunstlose Kunstform. Neben der Verachtung für das Genre, freilich oft vorschnell und meist ohne tiefere Kenntnis der Gattung, gab und gibt es doch immer wieder Rehabilitierungsversuche. So landet seit einiger Zeit etwa Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper, zuverlässig Sensationserfolge mit seinen Wiederbelebungen von Schlüsselwerken der sogenannten Berliner Operette vom Beginn des 20. Jahrhunderts.

Ein weiterer Rehabilitierungsversuch findet gegenwärtig am Opernhaus Zürich statt, wo Chefdirigent Fabio Luisi und Intendant Andreas Homoki eine Neuproduktion von Franz Lehárs Operette «Das Land des Lächelns» gewagt haben. Die Initiative zu dieser Neuproduktion ging offenbar von Luisi aus, dessen Interesse für die Operettengattung aus seiner Zeit als Chefdirigent der Wiener Symphoniker stammt. Für Homoki ist es die erste Operetteninszenierung in seiner bisher fünfjährigen Zürcher Intendanz.

Das erstarrte Lächeln

Der Vorwurf des Kunstlosen trifft auf «Das Land des Lächelns» nicht zu. 1923 in Wien unter dem Titel «Die gelbe Jacke» herausgebracht, hat Lehár die Operette für die Berliner Uraufführung von 1929 entscheidend umgeformt. Er reiht nicht einfach Walzer, Schlager und Märsche aneinander, sondern fügt sie, besonders im China-Teil des Stücks, in einen musikdramatischen Zusammenhang ein. Und was die Handlung betrifft, besteht durchaus ein gewisser Tiefgang: Im Unterschied zur Wiener Erstfassung gibt es hier nämlich kein Happy End. Das zentrale Liebespaar scheitert vielmehr an der kulturellen Unvereinbarkeit seiner Liebe.

Der chinesische Prinz Sou-Chong ist Gesandter in Wien. An einem Ball verliebt er sich in Lisa, die Tochter des Grafen Lichtenfels. Lisa ist bereit, mit ihm nach Peking zu ziehen. Dort wird Sou-Chong chinesischer Ministerpräsident. Gemäss den Gesetzen des Landes, die vom gestrengen Oheim Tschang durchgesetzt werden, muss er in dieser Position vier Chinesinnen heiraten. Für Lisa bliebe da nur noch die Rolle der Mätresse. Aber dazu hat sie keine Lust. Mithilfe ihres Wiener Verehrers Gustl, den sie hat abblitzen lassen, flieht sie und reist nach Europa zurück. Das Lächeln des Prinzen gerät am Schluss zur Maske.

Grossartige Sänger

Das A und das O einer gelungenen Aufführung bildet das Protagonistenpaar. Mit Piotr Beczala und Julia Kleiter stehen bei der Zürcher Premiere zwei grossartige Darsteller-Interpreten auf der Bühne. Tenor-Weltstar Beczala als Sou-Chong brilliert nicht nur in der berühmten Arie «Dein ist mein ganzes Herz», die Lehár für den legendären Richard Tauber komponiert hat, sondern verlangt seinem Tenor ein schier unerschöpfliches Repertoire an Ausdruckswerten ab. Überzeugend stellt er dabei seine Zerrissenheit zwischen Pflicht und Neigung dar.

Julia Kleiter gibt die Lisa als selbstbewusste, emanzipierte Frau, die sich nicht in das Korsett exotischer Konventionen drängen lässt. Und stimmlich kennt die besonders als Mozart-Sängerin bekannt gewordene Sopranistin die feinsten Abstufungen. Berührende Momente entstehen in den Duetten der beiden, beispielsweise im Schlager «Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt».

Gut besetzt ist auch das heitere Paar des Stücks. Die in Zürich wohlbekannte Rebeca Olvera gibt Sou-Chongs Schwester Mi als keckes und vom Europa-Fieber ihres Bruders angestecktes Girl. Spencer Lang, der neu zum Zürcher Ensemble gestossen ist, realisiert die Buffo-Rolle des Gustl mit ansteckendem Humor. Und Cheyne Davidson als Tschang mimt gekonnt den Bösewicht vom Dienst.

«Stricken, sticken, waschen, kochen»

Andreas Homoki inszeniert «Das Land des Lächelns» als Revue. Die Bühne von Wolfgang Gussmann stellt ein Variététheater nach dem Pariser Vorbild der zwanziger Jahre dar. Darin treten die Herren der vornehmen Wiener Gesellschaft, die chinesischen Haremsdamen oder Mis Gesellschafterinnen auf. Eine optisch auffällige Rolle spielen hier die Tänzerinnen des Zürcher Balletts. Dem Choreografen Arturo Gama gelingen dabei immer wieder eindrucksvolle Bilder. Die ebenfalls von Gussmann verantworteten Kostüme stellen den Kontrast zwischen dem Europäischen und dem Chinesischen plakativ heraus: Frack und Zylinder gegenüber Fächer und Chinesenhut, blaues gegenüber rotem Licht. Zum Revue-Charakter passt auch, dass einige Nebenrollen gestrichen und die Dialoge auf ein Minimum reduziert wurden. Letzteres führt am Schluss allerdings dazu, dass man die Handlung kaum mehr versteht.

Die Schwäche von Homokis Inszenierung liegt denn auch darin, dass sie die Handlung über weite Strecken bloss bebildert, nicht interpretiert. Dabei ist offensichtlich, dass das Libretto von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda einem unverblümten Kulturchauvinismus huldigt. Die Europäer sind die Aufgeklärten und Überlegenen, die Chinesen die Rückständigen, die belächelt werden. Die Chinesin Mi, die sehnsuchtsvoll nach Europa schielt, bringt die Haltung ihres verhassten Oheims auf den Punkt: «Stricken, sticken, waschen, kochen, und dann wieder in die Wochen, ja das wär' so euer Ideal.» Indem Homoki diesen Chauvinismus nicht mit den Mitteln der Regie kritisiert, bestätigt er ihn unausgesprochen. Natürlich geht es in einer Operette primär um Unterhaltung, aber ein bisschen mehr kritische Distanz aus heutiger Sicht würde der Inszenierung nicht schaden.

Kenner des Genres

Musikalisch punktet die Zürcher Produktion nicht nur mit dem brillanten Liebespaar, sondern auch durch die schlagkräftigen Auftritte des Chors der Oper Zürich und insbesondere durch die instrumentale Begleitung der Philharmonia Zürich. Fabio Luisi erweist sich als solider Kenner des Genres.

Den Sängerinnen und Sängern fordert er einen lockeren U-Musik-Stil ab, ohne dass dieser jedoch ins Leichtfertige oder Kitschige abgleitet. In der Instrumentalschicht schält er die Unterschiede zwischen dem authentisch Wienerischen und den von Lehár imaginierten Chinoiserien kräftig heraus. Besonders wirkungsvoll gelingt ihm im China-Teil die Zusammenfassung der Einzelteile zu grossen dramatischen Einheiten: Lehárs grosses Vorbild Puccini lässt da grüssen.