Torbjörn Bergflödt, Südkurier (19.06.2017)
Die Operette (oder doch Oper?) „Das Land des Lächelns“ von Franz Lehár wird am Opernhaus Zürich zur Chefsache – für Intendant Andreas Homoki und Generalmusikdirektor Fabio Luisi. Vor allem Star-Tenor Piotr Beczala (in der Rolle des Prinzen Sou-Chong) überzeugt.
Es ist die erste Operette in der nunmehr fast fünfjährigen Direktion von Andreas Homoki am Zürcher Opernhaus. Aber was heißt hier Operette? Manches im „Land des Lächelns“ von Franz Lehár klingt wie nach einer großformatigen Oper von Giacomo Puccini, der Lehár zu seinem engsten Freundeskreis gezählt hat. Auch die Schlager in dem Werk, das mit keinem Happy-End aufwartet, sind so fordernd, dass sie nur mit einer einwandfrei ausgebildeten Gesangstechnik zu bewältigen sind. Das Orchester ist beinahe so riesig besetzt wie bei Puccinis „Turandot“. Das Ganze ist ein Zwischending zwischen Operette und Oper, worauf die Gattungsbezeichnung romantische Operette immerhin ein wenig verweist, und auch sinfonische Tonfilm-Musiken lassen hier schon grüßen.
In Zürich hat man jetzt den 1929 in Berlin, zwei Wochen vor dem New Yorker Börsen-Crash, uraufgeführten Dreiakter nicht auf die leichte Schulter genommen. Davon zeugt schon die Tatsache, dass Hausherr Homoki inszeniert hat und Generalmusikdirektor Fabio Luisi dirigiert. Auch ist für die männliche Hauptrolle der Star-Tenor Piotr Beczala aufgeboten worden, der ein besonderes Faible hat für Lehár und für den Sänger Richard Tauber (1891-1948), der ganz wesentlich mitverantwortlich war für die Umarbeitung einer 1923 uraufgeführten Vorgänger-Version zum „Land des Lächelns“ mitsamt dessen Hit „Dein ist mein ganzes Herz“. Das Zürcher Plädoyer für Lehár macht Appetit auf weitere Repertoire-Erkundungen im Fach der Silbernen Operette.
Das Libretto erzählt davon, wie die junge Lisa sich in Wien in den chinesischen Prinzen Sou-Chong verliebt und diesem nach China folgt, wo die beide aber die Unvereinbarkeit ihrer Welten und Charaktere erkennen müssen. Ebenso ergeht es dem Buffo-Paar, Lisas früherem Verehrer Gustl, der ihr nachgereist ist, und Sou-Chongs Schwester Mi. Homoki hat das Personal beschränkt auf die beiden Paare, den Oheim des Prinzen und einen Ober-Eunuchen und hat zudem die (oft zeitverhafteten) Original-Dialoge reduziert und Gesangsnummern umgestellt.
Offensichtlich will er das Innenleben der Figuren aufblättern, auf den Kern der Geschichte fokussieren; den Umstand, dass die Gattung Operette sich hier auf die Oper zubewegt, nochmals unterstützen. Das ist ehrbar und trägt die schöne Frucht, dass die Inspirationsdichte der Musik – gerade unter Luisi, der das Operetten-Genre als Korrepetitor in Graz und danach in Wien intim kennengelernt hat –, gewissermaßen Schlag auf Schlag erfahrbar wird. Man fragt sich jedoch, ob einige gesprochene Dialoge nicht doch ein probates Mittel gewesen wären, um Handlungsscharniere zu ölen und Situationskomik zu ermöglichen, die jetzt manchmal hinzu inszeniert wirkt.
Die originale Handlungszeit ist 1912. Das Einheits-Bühnenbild des Ausstatters Wolfgang Gussmann (bei den Kostümen unterstützt von Susana Mendoza) ist ein wunderbar schicker Revue-Raum im Art-déco-Look samt Showtreppe und Ledersesseln, und auch die Kostüme atmen eine stilentsprechend noble Eleganz. Ebenso, wie bei Homoki Wien nicht einfach Wien ist, wird der Handlungsteil in Peking nicht zur platten Chinoiserie. Ein blauer Vorhang mit Goldbordüre unten wird gezogen für vertrauliche Szenen ganz vorne.
Das alles ist durchaus raffiniert ersonnen und entgeht der Gefahr eines stadttheaterhaften Operetten-Klimbims. Aber auch hier: Etwas mehr (ironisch sich absicherndes) Lokalkolorit hätte wohl kaum geschadet. Ironie und Stimmungslage, Beinahe-Kitsch und Kabarettistisches lässt Homoki immer wieder in einer bekömmlich kalkulierten Dosis in seine Regie einfließen. Hinzu kommt tänzerische Bewegtheit vom Solo bis zum Groß-Kollektiv.
Hoch brandete der Szenen-Applaus des Premierenpublikums, nachdem Piotr Beczala – für den das Opernhaus Zürich lange Jahre das Stammhaus gewesen ist – als Sou-Chong im zweiten Akt das Melodie-Juwel „Dein ist mein ganzes Herz“ gesungen hatte: mit gerundeten Legato-Bögen, raffinierter Steigerungsdramaturgie bei hoch ausschwingendem Forte, aber doch ohne Gepresstheit in der kraftbegabten Stimme. Auch sonst bewies der Sänger Niveau und eine Vertrautheit mit den idiomatischen Besonderheiten und Fallstricken des Genres. Hätte er dieses und jenes leiser gesungen, wäre man freilich kaum unglücklich gewesen.
Julia Kleiter, für die Operette bisher weitgehend Neuland gewesen war, agierte als Lisa schauspielerisch mit einer (wie hart auch immer erarbeiteten) metiersicher anmutenden Selbstverständlichkeit und vermochte sich auch vokal sehr achtbar zu behaupten an der Seite von Beczala. Singdarstellerisch beweglich als Tollpatsch vom Dienst, als den ihn die Regie oft anlegte, wirkte Spencer Lang in der Rolle des Gustl, und auch Rebeca Olvera gab eine weitgehend überzeugende Mi. Ernst Raffelsberger hat den auch schauspielerisch stark geforderten Chor gut einstudiert.
Generalmusikdirektor Fabio Luisi ließ bei der Premiere das U-Fach und das E-Fach zu ihrem jeweiligen Recht kommen; holte aus der Philharmonia Zürich eine geradezu auf Hollywood-Soundtracks oder Richard Strauss verweisende vielschimmernde Farbigkeit heraus, entband pfiffige tanzmusikalische Metren und zarte Melancholie, einen gemütsinnigen, wuchtig-tragischen oder puppenhaft-burlesken Ton.