Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (20.06.2017)
Am Zürcher Opernhaus ist mit Franz Lehárs «Land des Lächelns» erstmals seit vielen Jahren wieder eine Operette zu sehen. Eine, die sich liebevoll allen Regiemoden widersetzt.
Für einmal ist es wie im Zirkus. Das Programm ist zu Ende, da setzt die Musik wieder ein, und alle Beteiligten hüpfen herbei, um sich den verdienten Applaus abzuholen. Noch einmal werden Fächer geschwenkt, Choreografien angedeutet, Kostüme präsentiert. Und noch einmal holt Lisa aus zur Ohrfeige für Sou-Chong; aber dann verbeugen sich die beiden als Julia Kleiter und Piotr Beczala Hand in Hand, strahlend. Auch Regisseur Andreas Homoki strahlt, als er auf die Bühne kommt – und mit jenen Buhs aus den oberen Rängen empfangen wird, die offenbar einfach dazugehören zum Opernritual. Es war der erste und wirklich unnötige Misston an diesem Abend.
Denn was davor auf dieser Bühne geschah, war schlicht zauberhaft. Schon vor Beginn liess der Anblick des nachtblauen Glitzervorhangs mit den goldenen Fransen erahnen: Hier gibts Operette im Geist der Operette. Keine Dekonstruktion. Keine politische Aktualisierung. Keinen bösen oder überheblichen Blick auf den Kitsch von damals. Keinen Trash. Also nichts von all dem, was dieser verpönten Gattung in den vergangenen Jahren zu neuem Schwung verholfen hatte.
Das Zürcher Opernhaus hatte diese Renaissance bisher verpasst. Hin und wieder gabs eine «Fledermaus», ansonsten hielt man sich in den letzten Jahrzehnten an die hohe Kunst und überliess den Rest den Baslern, dem Theater Neumarkt, der freien Szene. Andreas Homoki wollte das nun ändern, und zwar dezidiert: Zusammen mit dem Generalmusikdirektor Fabio Luisi hat er Franz Lehárs «Land des Lächelns» zur Chefsache erklärt. Und beschlossen, keine doppelten Böden in das Stück zu ziehen.
Vier Bräute für den Gatten
Stattdessen hat er beim Ausstatter Wolfgang Gussmann eine Säule, zwei glamourös geschwungene Treppen und zwei nachtblaue Sessel bestellt: «Das Land des Lächelns» wird so zur Revue aus koketten, glücklichen, exotischen, traurigen Nummern. Die Liebe zwischen der Wienerin Lisa und dem Chinesen Sou-Chong kippt dabei bald einmal um in Enttäuschung. Denn in seiner Heimat entpuppt sich der aparte Geliebte als Fremder, der von Amtes wegen bereit ist, vier Bräute zu heiraten – und dann noch meint, es mache Lisa nichts aus.
Ein Happy End hat Lehár nicht vorgesehen, Lisa und Sou-Chong trennen sich. Die heute in Operetten übliche Umkehrung des Schlusses konnte sich Homoki also sparen. Seine Eingriffe sind dezenter: Die Dialoge sind dankenswerterweise gekürzt, ein paar Nebenfiguren fehlen. Ansonsten vertraut man dem Stück, der Musik und den Darstellern.
Auch bei Letzteren scheint man sich gesagt zu haben: Wenn schon, denn schon. Als Sou-Chong ist Piotr Beczala nach Zürich zurückgekehrt, der einst hier im Ensemble gesungen hat, seither eine grosse Karriere macht und Operetten sowohl liebt als auch singen kann. Sein Tenor hat Kraft, Schmelz und Charme, aber keine Übersüsse; selbst der Superhit «Dein ist mein ganzes Herz» wirkt bei ihm frisch. Auch die Härten dieser Figur zeigt er, die Einsamkeit, die Sturheit. Man kann Lisas Verliebtheit und Verzweiflung glatt verstehen.
Auch diese Lisa ist mit Julia Kleiter luxuriös besetzt, «eine herrliche Frau», wie es im Libretto heisst, «so pikant und mondän». So stilsicher im Gesang und im Auftreten, könnte man hinzufügen. Kleiter trägt ihr 20er-Jahre-Outfit, als wärs ihr eigenes, und sie beherrscht jenen flirrenden Ton, der diese Lisa ausmacht. Ihre Stimme ist nicht ganz so butterig wie jene von Beczala, aber die beiden passen bestens zueinander.
Dafür sorgen auch Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich, die es sich nicht leicht machen mit der leichten Muse. Präzis und mit viel Sentiment wird da geschwelgt und gewalzert und geträumt. Dabei geht der wienerische Tonfall nahtlos über in den chinesisch-pentatonischen; die Klangklischees, bei denen sich Lehár bedient hat, werden aufs Schönste ausgestellt. Gleichzeitig wird klar, dass diese Musik Ambitionen hat. Manches klingt nach Puccini (mit dem Lehár befreundet war). Und auch wenn die Figuren nicht gerade tiefenpsychologisch charakterisiert werden, tendiert die Operette doch immer wieder zur Oper – in ihrer Instrumentierung, in der Sorgfalt, mit der Nebenstimmen ausgeführt sind. «Das Land des Lächelns» ist nun mal ein Spätwerk, für Lehár wie für die Gattung; uraufgeführt wurde sie 1929, als die Welt sich zwar nach Glitzer und Glück sehnte, aber durchaus auch anderes kannte.
So reizend, so schusselig
Auch die Ironie des Stücks ist eine andere als bei den frühen Operetten; die Regie brauchte da nur ganz leicht zu betonen, was angelegt ist. Ein Bijou jenseits aller politischen Korrektheit ist etwa der Auftritt des chinesischen Ober-Eunuchen (Martin Zysset), der stolz ist auf seine doch eher unwahrscheinliche Abstammung aus einem alten Eunuchengeschlecht. Aber auch der «Tee à deux», bei dem sich Sou-Chong und Lisa näherkommen, hat satirische Qualitäten. Und für die Charakterisierung der gegensätzlichen Welten finden sich im Libretto grandiose Verknappungen: «In China ist man zart und seufzt beim Mondenschein», singt Mi (Rebeca Olvera). «Und in Wien galant und wird intimer erst beim Wein», antwortet Gustl (Spencer Lang).
Die beiden stellen das zweite Paar, auch sie sind reizend, und auch sie können, ach, nicht zusammenbleiben. Sie hätten gut zueinander gepasst, trotz Gustls Knickerbockern und seiner Schusseligkeit. Aber am Ende zieht Gustl mit Lisa nach Wien zurück, und Mi schüttelt entrüstet den Kopf über ihren Bruder Sou-Chong, der das Leid einmal mehr einfach weglächeln will.
Als Zuschauerin lächelt man auch, aber ohne Leid. Weil diese Aufführung so schön war, so stimmig, so liebevoll gestaltet. Und weil man es ja gar nicht geglaubt hätte, dass so etwas noch geht: eine Operette so zu zeigen, wie sie einst gedacht war.