Oliver Schneider, DrehPunktKultur (25.09.2017)
Barrie Koskys 2016 für die Komische Oper in Berlin entstandene Inszenierung des „Eugen Onegin“ ist nun im Opernhaus Zürich zu sehen. Unter Stanislav Kochanovsky liefert die Philharmonia Zürich einen fabelhaften Saisoneinstieg.
Statt im Gutsgarten sitzen Larina (wie immer sicher Liliana Nikiteanu) und die Amme Filipjewna (raumfüllend Margerita Nekrasova) inmitten einer saftigen Wiese in einer Waldlichtung und füllen Gläser mit Erdbeer- oder Himbeermarmelade ab. Rot ist sie jedenfalls und symbolisiert Tatjanas auch nach vielen Jahren nicht verloschene Liebe zu Onegin. Als junges verträumtes, lesewütiges Mädchen vom Land verliebt sie sich in den gelangweilten, kalten und herablassenden Lebemann Eugen Onegin, der mit ihrer Liebeserklärung – überbracht wird sie bei Kosky ähnlich einer Flaschenpost in einem Einmachglas – nicht viel anfangen kann. Erst als er ihr Jahre später wiederbegegnet, nachdem sie längst mit einem anderen verheiratet und in der Stadt zu einer Dame von Welt geworden ist, erkennt er, was er an ihr verloren hat. Jetzt kann er seinen Emotionen freien Lauf lassen. Leider zu spät für ein gemeinsames Glück, auch wenn Tatjana entwaffnet gesteht, dass die Liebe zu ihm immer noch einen Platz in ihrem Herzen besitzt.
Lyrische Szenen hat Tschaikowski sein Werk genannt, um keine Erwartungen an eine Oper zu enttäuschen. Und für lyrische Szenen erscheint eine Waldwiese als perfekter Spielort (Bühne: Rebecca Ringst). Dorthin geht die Landpartie der Dorfbevölkerung zum Picknick (einsatzfreudig und kompakt der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor), dort kann das Fest bei Larins zu Fackelbeleuchtung stattfinden, die die Bäume in zauberhaftes Licht taucht (Licht: Franck Evin). Der feurige Dichter Lenski, der in Tatjanas lebenslustige Schwester Olga verliebt ist, bringt seinen Freund Onegin mit in diese Idylle. Dieser ist ein Fremdkörper, nicht nur wegen seines geschäftsmäßigen Anzugs (Kostüme: Klaus Bruns). Seine Kühle und Herablassung wollen nicht in diese Idylle passen.
Kosky lässt seine Figuren und ihre Gefühle in seiner Naturwelt alleine. Das Bühnenbild bleibt – bis auf die Szene beim Fürsten Gremin – gleich. So zwingt der Regisseur seine Protagonisten, die Seelenwelt ohne Hilfsmittel nach außen zu kehren. Wie ihnen das mehrheitlich gelingt, ist fantastisch. Peter Mattei ist ein erfahrener Onegin mit kernigem Bariton. Mehr Gleichgültigkeit und fast schon Verachtung für die Menschen – und damit auch für Tatjana – als dieser Onegin im ersten Akt, kann man nicht mehr zeigen. Fast gewinnt man den Eindruck, Mattei fühle sich in der Inszenierung unwohl, zumal der hochmusikalisch phrasierende Pavol Breslik als Lenski die Szene mit seinem heißblütigen Werben um Olga und der ebenso ausgeprägten Eifersucht geradezu beherrscht. Doch weit gefehlt. Wenn auch unter Alkoholeinfluss, so zeigt dieser Onegin am Sommerfest bei Larins, dass auch er aus sich herausgehen kann. Aus einem harmlosen Geplänkel zwischen Onegin und Olga (durchschlagskräftig und lebendig Ksenia Dudnikova, letzten Sommer in Salzburg als Sonjetka in „Lady Macbeth von Mzensk“ zu hören) konstruiert der betrunkene Lenski aus dem Nichts ein Eifersuchtsdrama und stürzt damit alle vier jungen Leute ins Unglück. Im Duell – hinter der Bühne – muss er dafür mit dem Leben zahlen.
Das Palais des für einmal jugendlichen Fürsten Gremin (sonor Christoph Fischesser) wird auf der Wiese mit klassizistischen Gebäudewänden, einem kostbaren Teppich und ein paar Möbelstücken angedeutet. Der Gegensatz zwischen den Welten – hier das mondän Städtische, dort das natürliche Seelenleben – wird dadurch nochmals verbildlicht, bevor Onegin und Tatjana ihre große Schluss- und Abschiedsszene auf der Wiese ausleben. Olga Bezsmertna, Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, gefällt mit schöner Mittellage und gutem Stimmsitz, aber (noch) kann sie in der Briefszene nicht ganz bis zur Seele Tatjanas vordringen. Auch ihre Distanziertheit gegenüber Onegin im ersten Bild des dritten Akts wirkt forciert und unnatürlich, und im Vergleich mit ihren Partnerinnen und Partner ist ihr Spiel zu stark in traditionellen Gesten verhaftet.
Stanislav Kochanovskys Dirigat bildet die perfekte musikalische Grundlage für das harmonische Gesamtbild des Abends. Er lässt die Philharmonia Zürich präzise lyrische Klangbilder mit organischen, eher langsameren Tempi entfalten. Die Feinheiten der Melodik und der Instrumentierung werden schön herausgearbeitet (z. B. das Holz in der Briefszene). Die als orchestrale Zwischenspiele gegebene Polonaise und Ecossaise wirken allerdings etwas grob.