Sigfried Schibli, Basler Zeitung (16.09.2017)
Wolfgang Amadeus Mozarts frühe heroische Oper «Lucio Silla» zum Start der Basler Theatersaison
Mozart hat sich seine Opernsujets in der Regel nicht nach eigenem Gusto ausgewählt, sondern er hat Aufträge ausgeführt, die ihm von höherer Stelle erteilt wurden. Das gilt für seine frühen Opern «Mitridate» und «Lucio Silla» ebenso wie für sein letztes Bühnenwerk «La clemenza di Tito». Diese drei Werke, die der Gattung Opera seria angehören, enden alle mit dem Gnadenakt eines Diktators, womit wohl den im späten 18. Jahrhundert noch herrschenden Feudalherren gehuldigt werden sollte.
Am Theater Basel haben sich nun Hans Neuenfels als Regisseur und Erik Nielsen als Dirigent des «Lucio Silla» angenommen und das Werk durch Umstellungen und Kürzungen in eine «Basler Fassung» gebracht. «Lucio Silla – eine Utopie» heisst das Stück jetzt, und statt drei Akten gibt es zwei Teile. Fassbarer ist es dadurch nicht geworden: Die Brüche und Sprünge des Originals sind durch andere Ungereimtheiten ersetzt, und nicht selten stehen willkürliche Einfälle der Regie einem Verständnis der Handlung im Weg.
Holzhammer-Symbolik
Es wird viel auf dem Boden gekrabbelt und im Liegen gesungen, etwa in der Kerkerszene, in welcher die Gefangenen auf allen Vieren herumkriechen (Bühne: Herbert Murauer). Überflüssigerweise werden als zusätzliche Figuren zwei Masken eingefügt, und die Zeiten wirbeln wild durcheinander. Als der römische Diktator Lucio Silla – standesgemäss mit goldenem Lorbeerkranz – vom Senator Cecilio und dessen Verbündetem Cilla mit Dolchen bedroht wird, stürmen die zwei Masken mit futuristisch anmutenden Maschinengewehren laut knallend auf die Attentäter los.
Knallig und von der gröberen Art ist auch die Sexualsymbolik: Lucio Silla, der erfolglos um Giunia wirbt, sucht in einer Art Lustgrotte Trost, die auffällig einer blutigen Vulva ähnelt. Der Tiefpunkt in Sachen Personenführung ist – abgesehen von mancher Aktion der beiden Masken – die Szene im Terzett des zweiten Teils, in welcher Cecilio und Giunia mit Messern so tun, als wollten sie sich umbringen, was aber irgendwie nicht klappt. Dramatik kippt in Lächerlichkeit um.
Wie so oft in Inszenierungen von Altmeister Hans Neuenfels in den letzten Jahren müssen Tierfiguren auf die Bühne. In seinem Bayreuther «Lohengrin» 2010 waren es Ratten, in seinem Zürcher «Orest» noch im Februar zog eine ferngesteuerte Riesengrille viel Aufmerksamkeit auf sich. Viel Sinn hatte beides nicht, und das gilt auch für die Raubvögel, in die der einst so schöpferisch mit tiefenpsychologischen Symbolen umgehende Regisseur den Chor (erstmals geleitet von Michael Clark) in seiner Basler Mozart-Inszenierung verwandelt hat.
Hinzu kommen teils dichterische, teils informative Texte, die auf die Bühne projiziert werden. Wobei dem Informationsgehalt nicht immer zu trauen ist: Die Partien des Cecilio und des Cinna wurden zu Mozarts Zeit nicht, wie behauptet wird, generell mit Kastraten besetzt. In der Uraufführung am 26. Dezember 1772 in Mailand und in den nachfolgenden Aufführungen sang zwar ein berühmter Kastrat den Cecilio, aber die Partie des Cinna war mit einer Frau besetzt – eine Hosenrolle. Das ist auch in der Basler Produktion der Fall, und die Amerikanerin Hailey Clark brilliert in dieser Partie mit hinreissend stark und sicher gesungenen Arien, darunter die D-Dur-Arie «Vieni ov’amor t’invita», deren halsbrecherische Koloraturen sie mit unerhörtem Sportsgeist und ohne Intonationstrübungen angeht. Tröstlich zu wissen, dass sie jetzt zum Basler Opernensemble gehört und hoffentlich noch öfter zu hören ist.
Kein Engelsgesang
Cinna ist im Stück in Celia verliebt, die Schwester des Diktators, die von der Regie als ältliche, hinkende Gouvernante gezeichnet wird, die erst allmählich ihre Jugend entdeckt und Gehstock wie Brille fortwirft. Dieser Gag hindert Sarah Brady vom Opernstudio nicht daran, mit schönem Legato und sauberer Intonation auch in den Koloraturen aufzuwarten. Letztere Qualität hätte man gerne auch der Sopranistin Hila Fahima in der Paraderolle der Giunia attestiert. Immerhin wurde diese Frauenrolle zu Mozarts Zeit von einer der grössten Sopranistinnen verkörpert, und von dieser Anna de Amicis-Buonsollazzi sagte Vater Leopold Mozart: «Sie singt und agiert wie ein Engl» (sic).
Vom Engelhaften war die junge Darstellerin in der Basler Premiere weit entfernt, ihre Stimme klang ungenau intoniert und in der Höhe schrill. Erst in ihrer C-Dur-Arie «Parto, m’affretto» im zweiten Teil schien sie sicheren Boden unter den Füssen zu haben. Ihren Partner Cecilio sang Kristina Stanek mit kräftigem, bisweilen gepresst klingendem Mezzosopran. Die männlichen Partien sind in diesem Geniestreich des 16-jährigen Komponisten zweitrangig. Lucio Silla wird vom finnischen Sänger Jussi Myllys mit klar zeichnendem Tenor gesungen. Sein vom Regisseur aufgezwungenes Zittern, Zucken und Zappeln wirkt unglaubwürdig. Matthew Swensen vom Opernstudio verkörpert mit seiner hellen, koloraturenfreudigen Stimme den (in manchen Aufführungen gestrichenen) Aufidio.
Dirigent Erik Nielsen musste wohl manche Kröte schlucken, um mit dem eigenwilligen Regie-Kauz Neuenfels (76) und dem Gastdramaturgen Henry Arnold eine gemeinsame Linie zu finden. Er trimmte das Sinfonieorchester Basel auf einen schlanken, beweglichen Mozartstil mit sehr dosiertem Streichervibrato und knapper Artikulation, liess aber nicht vergessen, dass man vom Barockorchester La Cetra und vom Kammerorchester Basel im Basler Orchestergraben auch schon inspiriertere Mozart-Interpretationen gehört hat. Symptomatisch war die F-Dur-Rachearie des Cinna «Nel fortunato istante» vor der Pause, die von der Sängerin unerhört temperamentvoll und farbenreich gesungen, aber vom Orchester eher flau begleitet wurde. Am Ende freundlicher Beifall für eine wenig motiviert wirkende Saisonpremiere.