Reinmar Wagner, Schweiz am Wochenende (16.09.2017)
Hans Neuenfels arbeitet sich am Theater Basel an Mozarts «Lucio Silla» ab. Teilweise mit unfreiwilliger Komik
Nach der grossen Arie der Giunia, die Sängerin Hila Fahima bemerkenswert trittsicher bewältigt, ist es selbst dem Regisseur zu viel. Hans Neuenfels braucht ein Time-Out im unablässig dramatischen Karussell der Emotionen. Sie sind das Kennzeichen dieser noch aus der Barockzeit stammenden Oper von Mozart.
Er füllt die Pause mit krächzenden Geiern und Anspielungen in Leuchtschrift auf die tödlichen Volksbelustigungen in den römischen Arenen. Was wiederum nicht so ganz passt: Wir sind zwar im Alten Rom, aber nicht bei den dekadenten Kaisern Nero oder Caligula, sondern beim Feldherrn und Diktator Lucius Cornelius Sulla. Ihn zeichnet eben aus, dass er trotz brutaler Gewalt während seiner Herrschaft später aus reflektierter Einsicht der Macht entsagt. Er verzichtet auf Gewalt und Rache und sogar auf seine Liebe zugunsten seines ehemaligen Feindes aufgibt.
Ganz unspektakulär verkündet Lucio Silla diese Erkenntnisse in einem schmucklosen Rezitativ – auch das typisch für die Opera seria, in der alle Handlungs-Elemente rasant im monotonen Sprechgesang geschildert werden. Dafür bleibt umso mehr Raum für die Darstellung der oft widerstreitenden Affekte in den grossen Da-Capo-Arien, die mit Koloraturen und anderen sängerischen Kabinettstückchen ausführlich und wiederkehrend ausstaffiert werden.
Eine schwierige Vorlage
Diese Opernform hat schon manchen Regisseur, der auf eine emotional und psychologisch nachvollziehbare Zeichnung seiner Figuren bedacht ist, an den Rand des Wahnsinns getrieben.
Zusammen mit dem Dirigenten Erik Nielsen, Musikdirektor am Theater Basel, hat Neuenfels versucht, diese musikalischen Strukturen aufzubrechen und aus Mozarts vierstündiger Oper ein bloss gut halb so langes Musikdrama zu destillieren, das modernen Sehgewohnheiten entgegenkommt. Natürlich geht dabei jede formale Geschlossenheit verloren. Das mag man bedauern, unzweifelhaft gelungen aber ist den beiden, Zug und Dramatik ins Geschehen zu bringen.
Wobei Neuenfels diesen Gewinn an Stringenz immer wieder auch ein wenig verspielt, indem er sich in seinen Bildern und Assoziationen gern selbstbezogen verklausuliert, womit sie weder für die Figurenzeichnung noch für das Stück insgesamt wirklich schlüssig werden – oder sogar unfreiwillig komisch wirken.
Wenn etwa die zusätzlich ins Personal geführten zwei «Maskierten» mit Fantasy-Maschinengewehren das Attentat auf Silla verhindern oder der Diktator seine erotische Leidenschaft in einer mannshohen blutenden Vagina ausdrücken muss.
Berührend gelingt dagegen das Ende, wenn dem finalen Jubelchor die ganz persönlichen Gedanken und Zukunftsängste des nun einsamen Ex-Diktators unterlegt werden.
Mit Hochdruck, aber gleichförmig
Vorwärtsdrängende Dramatik hat sich auch Dirigent Nielsen auf die Fahnen geschrieben: In dezidiert historisierendem Klangbild mit einem brillanten, meist sehr präzisen Basler Sinfonieorchester treibt er unermüdlich das musikalische Geschehen voran. Und vergisst dabei ein wenig die Zwischentöne, die weniger im Orchester als im sängerischen Agieren des jungen Ensembles etwas unter die Räder kommen.
Vokaler und emotionaler Hochdruck kennzeichnet ausnahmslos jede Arie von A bis Z, eine Gleichförmigkeit, die erfahrenere Sänger vermieden hätten. Angebote in diese Richtung gab es von Nielsen zwar durchaus, am dezidiertesten in der letzten Arie des Cecilio, aber Kristina Stanek (man wählte in Basel keine Countertenöre für die beiden Kastratenpartien) wagt kaum, darauf einzugehen.
Sehr differenziert gestaltet die israelische Sopranistin Hila Fahima die Giunia. Ein paar sängerisch bemerkenswerte Akzente setzen kann auch Hailey Clark als Cinna, während Jussi Myllys in der Titelrolle leider singt wie alle im durchaus adäquat besetzten Ensemble: sicher, sauber und stimmlich agil, aber eben mit wenig differenziertem Ausdruck.