Christian Berzins, NZZ am Sonntag (24.09.2017)
Hinhören, mit den Ohren hinein in den Orchestergraben tauchen – und staunen! Das Basler Sinfonieorchester spielt unter der Leitung des grossartigen Dirigenten Erik Nielsen so akzentuiert, so feinhörig, so durchsichtig, dass man ob des so prächtig blühenden Mozartglücks – der Komponist war erst 16 Jahre alt, als er «Lucio Silla» komponierte – einmal mehr an Weltenwunder glaubt. Gar nicht glauben will man hingegen, dass sich dafür die Basler die Karten nicht aus den Händen reissen, stehen doch auf der Bühne gute Sänger – mit Hailey Clark und Kristina Stanek gar zwei ausgezeichnete. Sie passen bestens in ihre Rollen, ja, dieses junge Ensemble könnte das Beziehungs- und Gefühlschaos, das ein eitler römischer Herrscher verursacht, glaubhaft vermitteln.
Zahlreiche Regisseure, vor einem Jahr Daniel Pfluger im Theater Biel Solothurn, haben uns in den letzten Jahren gezeigt, wie hochemotional, wie psychologisch fein diese klassische Herrscheroper sein kann. Altmeister Hans Neuenfels (*1941), der Opernregiegeschichte geschrieben hat, schafft das nicht – trotz vielerlei Kürzungen, die das Stück schneller machen sollen. Gewiss, da gibt es zahlreiche Symbole mit hübscher Bedeutung – und solche, die einen zum Lachen bringen. Zum Ausleben seiner Triebe verschwindet der Herrscher zum Beispiel in einen Schrank und vergnügt sich dort mit einer mannshohen Vagina. Aber bei allem Zauber schafft Neuenfels es nicht, dass diese Figuren miteinander agieren, es fehlen die Feinheiten des Zwischenmenschlichen, die dem Zuschauer deutlich machen, dass diese Opernhelden auch Menschen sind. Die Phantasielosigkeit von Neuenfels zeigt sich im Finale: Der Herrscher tritt an die Rampe, und die Regie ist sich nicht zu blöde, dessen Gedanken an die Wand zu projizieren. «So viel Leere war selten», ist da etwa zu lesen.