Franziska Stürz, BR Klassik (06.11.2017)
Egal ob in Zürich, München, London, Tokio oder New York: Wer kein Geld hat, wird nicht glücklich werden. Eine Stadt, in der alles erlaubt und möglich ist, solange man dafür bezahlen kann, ist Mahagonny. Die anarchische und gesellschaftskritische Anti-Oper von Berthold Brecht und Kurt Weill über diese utopische Stadt der Lüste und Laster hat in den Zeiten des Turbokapitalismus nichts von ihrer Brisanz verloren. So sieht es zumindest Regisseur Sebastian Baumgarten, der "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" am Opernhaus Zürich neu inszeniert hat. Premiere war am 5. November.
Rampentheater muss nicht immer schlecht sein, zumindest funktioniert es in der Form des Brecht'schen epischen Theaters ganz gut, wenn Teile der gesprochenen Passagen von einem Chor ganz vorne an der Bühnenrampe deklamiert werden. In Zürich kommentieren Videosequenzen dazu das Geschehen mit Schnipseln aus alten Spielfilmen oder Dokumentationen, in die sogar die drei Gründer von Mahagonny in Großaufnahme mit eingefügt werden: Karita Mattila als attraktive Witwe Begbick und ihre beiden Begleiter Christopher Purves als gutgelaunter Dreieinigkeitsmoses und der agile Michael Laurenz als Prokurist Willy. Alle drei liefern in Zürich ein überzeugendes Rollendebüt.
Knallbunte Westernhelden
Die drei flüchtigen Ganoven tragen archaische Fellgewänder, bevor sie sich in ihrer neuen Stadt zu knallbunten Westernhelden mausern. Regisseur Sebastian Baumgarten schafft es, in seiner Züricher Version dieser bitterbösen Brecht'schen Moralgeschichte erstaunlich viele Unvereinbarkeiten unter einen Hut zu bringen. Ein Dollar-Ballett im Luftrad, dramatische Wetterberichte von Stürmen, tödliches Show-Catchen und fröhliches Eingeweide-Fressen: alles vor einem netten kleinen Swimmingpool mit Plastiksesseln in typisch amerikanischer Motel-Atmosphäre.
Stimmlich umwerfende Schlussszene
Der Herrenchor hat viel zu spielen in diesem Stück, das besonders die männliche Vergnügungssucht aufs Korn nimmt. Für die Frauen als Lustobjekt steht die Hure Jenny. Annette Dasch verkörpert sie mit faszinierender Intensität und großer Spielfreude. Sie holt zusammen mit Fabio Luisi und der Philharmonia Zürich auch sehr feine Töne aus den immer wiederkehrenden Weill'schen Rhythmen. Christopher Ventris als Paul Ackermann hat etwas mit den vielen Worten zu kämpfen, schafft aber eine stimmlich umwerfende Schlussszene.
Pralles, buntes Theater
Mit vollem Einsatz tanzen sich die vollkommen frei und selbstbestimmt ohne Regeln lebenden Bewohner Mahagonnys im immer gleichen Side-Step in Extase, bis ihre Stadt unter dem Motto "Du darfst alles für Geld" im Chaos versinkt. Dieser Brecht- Weill Abend in Zürich ist pralles, buntes Theater mit Tiefgang, hervorragend besetzt und lebendig musiziert.