Nichts gewagt, alles verloren

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (18.10.2005)

La Forza del Destino, 16.10.2005, Zürich

Verdis «La Forza del Destino» am Opernhaus Zürich

Am Opernhaus Zürich dirigiert Nello Santi feurig wie stets Giuseppe Verdis «La Forza del Destino». Regisseur Nicolas Joel inszeniert, als wäre die Oper vor Jahrzehnten stillgestanden.

Theater muss schief gehen dürfen. Aber wer ein Stück inszeniert, muss wissen, was er erzählen will. Ob immer eine direkte Relevanz fürs heutige Publikum herausschauen muss, darüber kann man sich vielleicht streiten, aber nur auf schönen Melodien und Rührung zu setzen, ist gar wenig. Eine Fernsehsendung von vor 20 Jahren wirkt heute lächerlich. Warum meint Regisseur Nicolas Joel am Opernhaus Zürich, dass man die noch viel älteren Opern noch zeigen kann wie anno dazumals?

Das Schicksal hängt drüber

In Verdis «Forza del Destino» erschiesst der Tenor Don Alvaro den Vater seiner Geliebten Leonora zufällig, als er ihm die Pistole vor die Füsse werfen will, um sich zu ergeben – das Schicksal schlägt zu und hängt in Ezio Frigerios Bühnenbild als Meteorit über der Bühne. Dass die Ouvertüre, in der das Schicksalsmotiv so effektvoll lyrischen Bläserlinien entgegengesetzt ist, erst nach dem kurzen ersten Akt ertönt, ist ein dramaturgisch überzeugender Kunstgriff – leider bleibt er der Einzige.

Dabei glückt Nello Santi auch sonst eine musikalisch glühende, den musikdramatischen Fluss mit feinen Rubati überzeugend steuernde Interpretation. Allerdings ist er auch bekannt dafür, das absolute Primat des Dirigenten über den Regisseur zu behaupten und somit vielleicht am szenischen Bankrott nicht unschuldig.

Wo die Hauptfiguren auch vokal agieren sollten, stehen sie vor allem. Das fällt umso mehr auf, als sie mit den Anforderungen ihrer Partien ringen. Bei Vincenzo La Scola (Alvaro) und Joanna Kozlowska (Leonora) äussert sich die dramatische Überforderung auch in gestalterischem Ungefähr, je ein paar schöne Momente im Mezzavoce wiegen das nicht auf. Auch bei Leo Nucci bleibt offen, wie es zum gnadenlosen Hass kommt, den Leonoras Bruder Carlo zur Rache antreibt – immerhin ist Rassismus gegenüber dem Mestizen Alvaro ein wichtiger Grund. So stilsicher seine Phrasierung noch immer ist, durchgestaltet wirkt auch sein Rollenporträt nicht.

Da ist man froh um Matti Salminen als imposanter Abt Guardia. Inmitten einer drängenden Bettlerschar Bibel lesend, wirkt er allerdings szenisch nicht weniger verloren als seine Kollegen. «Weltstars im Abo» wirbt das Opernhaus – man wäre mit rollendeckender Besetzung zufrieden.

Ohne Hinter-Gedanken

Noch schlimmer als der tragischen Haupthandlung, die unter dem sich senkenden Meteoriten endet, ergeht es der Nebenhandlung. Sie wird zum pittoresken Beigemüse. Ob Gasthausgäste, Soldaten oder Bettler: Der homogen und plastisch singende Chor agiert praktisch unterschiedslos. Dass er zusammen mit den komischen Nebenrollen sozialen und politischen Hintergrund liefern würde, bleibt ausgeblendet.

Das Volk den Krieg besingen zu lassen, ohne das in der nächsten Szene gezeigte Elend der Armenspeisung im Kloster mitzudenken, kann man sich eigentlich nicht mehr vorstellen. So harmlos hat das Verdi niemals gedacht.