Geschichten von der Goldküste

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (07.11.2017)

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 05.11.2017, Zürich

«Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» von Brecht und Weill am Opernhaus Zürich

Vor 37 Jahren wurde das Opernhaus Zürich vom Pulverdampf der Revolte eingenebelt. Die Stadt wollte es für 60 Millionen Franken renovieren, dagegen wehrte sich eine breite Allianz von Linken, Jungen und sozial Engagierten mit nicht nur verbal geführten Protesten, die als «Opernhauskrawalle» in die Geschichte eingegangen sind. Inzwischen hat sich auch die Alternativszene an die Existenz des glitzernden Musentempels gewöhnt und nimmt die über 80 Millionen Subventionsfranken, mit denen das Freizeitvergnügen des Bürgertums jährlich vergoldet wird, gelassen hin.

Als am Sonntag ein Feuer auf der Opernhausbühne loderte, war dies nicht die Folge einer Rebellion, sondern das Finale der Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» von Bert Brecht und Kurt Weill. Es ist das wohl radikalste Musiktheaterstück gegen das Gesetz des Geldes, gegen die Käuflichkeit von allem und jedem, gegen den Kapitalismus schlechthin.

«Für Geld gibts alles, und ohne Geld nichts», heisst es in der Schlussszene. Paul Ackermann, der die Stadt Mahagonny als Genussoase mitbegründete, ist da schon tot – hingerichtet, weil er drei Flaschen Whisky nicht bezahlen konnte und niemand ihm beistand.

Längst erhebt sich kein Protest mehr, wenn die kritische Botschaft dieses Stücks in einem von der Öffentlichkeit getragenen Theater ertönt. Die von Sebastian Baumgarten inszenierte Zürcher Produktion mit ihrer sängerischen Starbesetzung wurde gar heftig beklatscht. Die Stückaussage wirkt nur noch als historisches Dokument: Ja, so hat man einst in Deutschland das Wirtschaftssystem bekämpft! Die Songs («Oh, moon of Alabama») sind zu politisch unverdächtigen Hits geworden, und die Zürcher Aufführung zeigt mit einem gigantischen Aufwand an filmischen Effekten (Chris Kondek) und szenischen Einfällen, wie unterhaltsam Kapitalismuskritik sein kann.

Opulente Ausstattung

Auf der Bühne von Barbara Ehnes hängt ein Leinwandstreifen, auf den bald Bilder, bald Texte in einer historischen Designerschrift flimmern. Manchmal erkennt man, dass hinter der Leinwand die Bühne umgebaut wird – so viel «episches Theater» ohne Illusionseffekt darf sein. Der Rest ist Ausstattungstheater vom Feinsten, eine Wildwestwelt mit knalligen Farben, breiten Hutkrempen, eng anliegenden Hosen und Stiefeln (Kostüme Joki Tewes, Jana Findeklee).

Das Grüppchen der Pioniere, die um eine Bar herum die genussorientierte «Netzestadt» Mahagonny gründen, kommt daher wie ein Stosstrupp der Wikinger, mit Fellmänteln und Stierhörnern. Ihre Anführerin, die Witwe Begbick, wird von der Mezzosopranistin Karita Mattila mit der stimmlichen Präsenz einer Operndiva verkörpert. Dabei spielt sie weniger die laszive Karte, als es Noëmi Nadelmann vor Jahren in der Berner Inszenierung von Harry Kupfer tat. Annette Dasch betritt als rot gefärbte Jenny Hill (im Drama Jenny Smith) und mit gelben Stöckelschuhen die Spielfläche – ganz das Freudenmädchen aus dem Wilden Westen mit viel Sex-Appeal, und eine hinreissende Sängerin dazu, die ihr «Wie man sich bettet, so liegt man» zelebriert, als wärs eine Arie von Purcell.

Luxuriöses Klangbad

Der ihr hoffnungslos verfallene Paul Ackermann, ein einfacher Holzfäller mit Flanellhemd und Waschbärenmütze, ist im sonstigen Bühnenleben ein Opernsänger von Rang, der in Bayreuth und an vielen anderen Häusern vor allem als Wagner-Tenor bekannt geworden ist: Christopher Ventris. Um dieses Trio herum scharen sich Bühnendarsteller, die bald tänzeln, bald sprechen und bald singen, und alles mit glühender Hingabe tun.

Chor und Orchester des Opernhauses Zürich musizieren unter der Leitung von Fabio Luisi mitsamt den Stilzitaten aus Jazz und Kirchenmusik prägnant und klanglich beherzt. Bei der Orchesterbesetzung hat man keinen Aufwand gescheut und sogar Instrumente wie Bandoneon, Banjo und Zither beigezogen. Schliesslich ist der «Originalklang» heutzutage nicht nur bei Händel und Mozart, sondern auch bei Kurt Weill eine Frage des Respekts.