Vincent Abt, Aargauer Zeitung (12.12.2017)
Szenisch reduziert, sängerisch maximiert – Puccinis «Madama Butterfly» in Zürich
Die Oper ist gewissermassen die künstlerischste aller Kunstformen. In ihr vereinen sich Musik, Literatur, Schauspiel, Choreografie und dekorative Gestaltung bis hin zu Mode und Beleuchtungstechnik. Bei der Neuproduktion am Opernhaus Zürich unter Regisseur Ted Huffman zeichnen sich alle diese Elemente auf ihre Weise aus. Einzig getanzt wurde nicht, was Sinn ergibt, weil das traurige Schicksal der armen «Madama Butterfly» herzlich wenig Anlass zu einem Freudentänzchen bietet.
Die Musik ist grosses Kino
Puccini soll kaum ein Wort verstanden haben, als er 1900 in London das gleichnamige englische Bühnenstück besuchte, und war dennoch begeistert vom Stoff. Seine Musik ist denn auch so komponiert. Sie ist alleine schon grosses Kino. Mitreissend, quälend, erwartungsvoll, tragisch. Es gibt Stellen, die prima zu einem James-Bond-Film passen würden, und der zürnende Onkel Bonze gäbe als Erzhalunke eine tolle Figur ab. Von musikalischen Einflüssen aus dem Fernen Osten ist indes wenig zu hören. Am exotischsten klingen die Zitate aus der amerikanischen Nationalhymne. Daniele Rustioni am Pult und die Philharmonia Zürich in der Versenkung musizierten hervorragend. Ein Besuch lohnt sich nur schon ihretwegen.
Dass die Protagonisten auf der Bühne in ihrer Kernkompetenz, dem Gesang, nicht patzen würden, war zu erwarten. Überraschend positiv fiel die Schauspielerei auf. Mehr oder weniger heimlicher Star des Ensembles (das Applausbarometer am Schluss liess keinen Zweifel daran) ist Bariton Brian Mulligan. Ihm gelingt das Kunststück, das Gewissen der westlichen Welt zu wahren, ohne dabei als langweiliger Moralapostel daherzukommen.
Auch Butterfly (Svetlana Aksenova, zum ersten Mal in Zürich) und Pinkerton (Saimir Pirgu) sind exzellent besetzt. Sie mimt nicht den Jammerlappen, sondern ist eine würdevolle Frau, die, obwohl verraten und zutiefst verletzt, ethisch allen überlegen bleibt. Und der gedankenlose, nur auf sein Vergnügen aus bedachte Egomane Pinkerton wirkt in der Gestalt von Pirgu so sympathisch, dass man ihn, obwohl er Schlimmes zu verantworten hat, fast gerne haben muss.
Die Inszenierung insgesamt ist schlicht gehalten, das Bühnenbild geht in Richtung minimalistisch. Die Leere im Raum ist von Ted Huffmann gewollt. Ob man allerdings knapp drei Stunden lang auf ein karg eingerichtetes Wohnzimmer schauen möchte, wo die Oper doch vornehmlich zur Unterhaltung da ist, ist eine andere Frage. Dafür lassen sich mit wenig Aufwand starke Effekte erzeugen: der Kontrast zwischen den farbenprächtigen, aufwendig geschneiderten Kimonos und der kahlen Wand, die schweren amerikanischen Möbel versus einige japanische Utensilien. Besonders gut machten sich in der statischen Atmosphäre der echte (lebendige) Hund Pinkertons in der Anfangsszene und das Hochzeitsfoto mit Knall, Blitz und Rauch. Deren «Semantik» ist entsprechend deutlich – der brave Vierbeiner, Sinnbild für lebenslange Treue, ward nimmer gesehen und das erhoffte Eheglück geht in Schall und Rauch auf. Die Inszenierung ist intellektuell und einfach gestrickt zugleich. Die Lichtgestaltung bedient sich gekonnt dem Schattenspiel, versprüht jedoch so viel Charme wie die Beleuchtung in einem Krankenhauskorridor, was gar nicht recht zum Thema passen will.
Das Thema! Minifassung: Nagasaki, ausgehendes 19. Jahrhundert. Der US-Marineoffizier Pinkerton heiratet das Geisha-Mädchen Cio-Cio-San (alias Madama Butterfly), lässt sie sitzen, kehrt zurück, will das gemeinsame Kind mitnehmen; sie bringt sich um. Hat das, nebst der offensichtlichen Tragik, einen tieferen Sinn?
Schöne Frauen machen Angst
Die Kulturwissenschafterin und Professorin Elisabeth Bronfen bescheinigt dem Stück Sozialkritik und sieht sich darin durch folgende These gestützt: «Jede Frau, die politische, psychologische oder sexuelle Macht hat, produziert Angst.» Logisch äquivalent dazu ist die Aussage: «Es existiert keine erfolgreiche, gescheite oder schöne Frau, die nicht Angst verbreitet.» Mit Verlaub, das wäre doch Chauvinismus von geradezu gigantischem Ausmass. Das Gegenteil ist der Fall. Viel häufiger werden Frauen für ihr Können, geistigen Reichtum und Schönheit bewundert und geliebt. Allen voran die wunderbaren Sängerinnen und Musikerinnen, die an dieser hörenswerten Produktion mitwirken (sämtliche männliche Mitwirkende natürlich mit eingeschlossen).